Unversiegbare Energiequellen

Das MUSICA-Festival biegt in die Zielgerade - Zeit für die Straßburger Philharmoniker, zeitgenössische Musik zu spielen – und darüber hinaus auch noch moderne...

Percussionskünstler Colin Currie und Dirigent Antony Hermus. Foto: OPS Strasbourg

(Michael Magercord) – Nach fast zwei Wochen von Konzerten und etlichen Performances von zeitgenössischen Komponisten und Performern beim MUSICA-Festival, wird am Freitag das Straßburger Philharmonische Orchester seinen Teil zum Festival der Neuen Musik beisteuern – und wie schon im letzten Jahr dabei seine Konzertreihe zum Saisonschwerpunkt beginnen. Denn mit der Aufführung der Ersten Symphonie von Gustav Mahler wird eine ganze Konzertserie mit Mahler-Symphonien eingeläutet.

Wie unmodern sind eigentlich Zeitgenossen? Nach einigen Aufführungen im Rahmen des diesjährigen MUSICA-Festivals für Neue Musik stellt sich so manchem Zuhörer, die heutzutage auch immer Zuschauer sind, die Frage, ob die Performances und Konzerte mit visuellen Beitaten nicht nur zeitgenössisch, sondern auch modern sind? Denn fast durchgängig ist dem Dargebotenen eine Prise Ironie beigefügt, und zwar weniger musikalisch, als vielmehr durch darstellerische Extras.

Doch ist es modern, wenn sich Zeitgenossenschaft darin erschöpft, das eigene Schaffen zu karikieren? Da dachten wir immer, es handele sich bei diesen Werken um bürgerliche Hochkultur der sogenannten „Ernsten“ Musik. Doch nun das: Kaum ist das Bürgertum so weit, das Schaben, Kratzen und Prusten an den noch immer als klassische Musikinstrumente erkennbaren Gerätschaften für den Ausdruck von Kunst zu halten, scheint es an der Zeit, diese wieder lächerlich zu machen. So honorig es natürlich ist, sich auch mal selbst auf den Arm zu nehmen – als kleinbürgerlicher Konzertgänger wird man das Gefühl nicht los, es mag sich dabei auch um eine Flucht vor der zunehmenden Überkomplexität des Genres und seiner akademischen Ausprägung handeln, der aber der Fluchtweg in eine schlichte, gelassene und ja, auch heitere Ernsthaftigkeit derzeit irgendwie versperrt zu sein scheint. Bliebe dann natürlich die Frage, was dies über den Zustand unserer modernen Zivilisation aussagte?

Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Vielleicht also gar nicht schlecht, auf dem Konzertpodium die Zeitgenossenschaft mit einem Werk, das tatsächlich modern war, zu konfrontieren. „Energiequellen“ übertitelt die Straßburger Philharmonie ihre Aufführung am Freitag. Flotte Rhythmen und Tänze nämlich spendeten die Inspiration zu drei Werken: indianische aus den Apalachen dienten Julia Wolfe 2012 als Grundlage zu einer Körperpercussion, Tanzfiguren nennt George Benjamin seine Ballettmusik von 2004. Und bereits 1899 machte Gustav Mahler einen zünftigen Ländler zur Grundlage von Passagen seiner ersten Symphonie „Titan“, womit er die steife Musiksprache seiner zeitgenössischen Kollegen ironisierte – und sie ebenfalls radikal vereinfachte, um sie schließlich in eine erneuerte und weiterführende, kurz: moderne Ausdrucksform überführen zu können. Seinerzeit übrigens waren die Kritiken der gestandenen Kolumnisten verheerend, vulgär sei das ja wohl und kaum noch hohe Kunst. Die Begeisterung der jungen Zuhörer war allerdings umso größer.

So kann’s gehen – also doch besser abwarten, was wirklich einmal als modern gelten wird, das heute lediglich zeitgenössisch ist. Wer es aber bis dahin mit dem sich bereits als richtungsweisend Erwiesenen halten will, der hat noch bis April 2020 die Chance, in Straßburg vier weitere orchestrale Großwerke des mährischen Komponisten zu hören. Der weilte übrigens des Öfteren in Straßburg, auch weil hier seinerzeit eine offene kulturelle Atmosphäre für das wahrhaft Moderne herrschte – kaum anders als heute, oder…?

Sources d’Énergie – Energiequellen
Konzert der Straßburger Philharmonie OPS
FR 4. Oktober, 20 Uhr im Palais de la Musique et Congres – PMC

Programm und Tickets des OPS: www.philharmonique.strasbourg.eu
Informationen und Tickets zu MUSICA: www.festivalmusica.fr

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste