„Verbraucherschlichtung ist keine Konkurrenz zur staatlichen Gerichtsbarkeit“

Interview mit dem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht Dr. (h.c.) Wilhelm Schluckebier zum fünfjährigen Jubiläum des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes (VSBG).

XDr. (h.c.) Wilhelm Schluckebier, einer der führenden Experten zum Thema Verbraucherschlichtung. Foto: privat

(KL) – Seit ungefähr einem Jahr läuft unsere Serie „Was Sie schon immer zum Thema „Schlichtung & Co.“ wissen wollten…“ – heute sind wir bereits bei der 18. Ausgabe. Mit dieser Serie beleuchten wir die vielen verschiedenen Aspekte der Verbraucherschlichtung, sowohl aus dem Blickwinkel der Experten, der Juristen, der Verbraucher und Verbraucherinnen und der Unternehmer. Heute: Interview mit dem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht und aktuellem Versicherungsombudsmann Dr. (h.c.) Wilhelm Schluckebier.

Herr Dr. Schluckebier, Sie waren Richter am Bundesverfassungsgericht, Ihr Vorgänger Präsident des Bundesgerichtshofs, bevor er das Amt des Versicherungsombudsmann übernahm. Viel höhere juristische Weihen gibt es kaum. Was motiviert Sie, Ihre Kompetenz nun der Verbraucherschlichtung in den Dienst zu stellen?

Dr. Wilhelm Schluckebier: Bei meiner Antrittsrede durfte ich das erklären: Ich habe damals ein Gespräch mit meiner Tochter zitiert, in dem ich ihr auf die Frage, weshalb ich das denn mache, geantwortet habe: „Es kribbelt noch.“ Nämlich bei dem Gedanken, noch einmal etwas Neues, Anderes zu beginnen, etwas, wofür man sich begeistern kann. Was ist das? Die außergerichtliche und alternative Streitbeilegung, die in einem unbürokratischen, einfach ausgestalteten, aber effektiven Verfahren Konflikte in dem asymmetrischen Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Verbraucher schnell und zügig mit befriedenden Lösungen bedient. Die Verbraucherschlichtung hat nicht die Beweisführungsmöglichkeiten und die strikten Verfahrensregeln der staatlichen Gerichtsbarkeit zu beachten. Sie kann, getragen vom Service-Gedanken, mit viel Empathie der Mitarbeiter in verständlichen Worten ihre Bewertung transportieren. Und dabei auf die jeweilige spezielle Befindlichkeit der Beteiligten eingehen. Das ist eine hochinteressante neue Erfahrung für jemanden, der in der Justiz gedient hat. Und die hat ihren besonderen Reiz. Außerdem bereitet es Freude, mit einem so motivierten, kompetenten Team zusammenzuarbeiten, wie das beim Versicherungsombudsmann der Fall ist.

Ihren Tätigkeitsberichten 2019/20 ist zu entnehmen, dass jährlich rund 18.000 Anträge bei Ihnen eingehen. Ihre Einigungsquote liegt bei ungefähr 45 %. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

DWS: Das Ombudsmannverfahren lebt davon, dass unsere Mitgliedsunternehmen mit ihrem Beitritt zum Trägerverein sich der Schlichtungsidee verpflichtet haben – in der Erkenntnis, dass die schnelle, an Recht und Gesetz ausgerichtete und in verständlichen Worten erfolgte Lösung eines Konflikts der Zufriedenheit der Kunden, aber auch der Schonung der eigenen Ressourcen dient. Auf Unternehmensseite steht und fällt der Erfolg der Schlichtung auch mit einer grundsätzlichen Abhilfebereitschaft. Empfiehlt der Ombudsmann mit guten Gründen einem Unternehmen, dem Kunden entgegen zu kommen, dann fällt diese Anregung ganz überwiegend auf fruchtbaren Boden. Zum Erfolg gehört aber auch das große Vertrauen, das uns auch von Seiten der Verbraucher und der Verbraucherschutzorganisationen entgegengebracht wird. Es gründet unter anderem in der Sachkompetenz meiner sehr erfahrenen Mitarbeiter, der Verständlichkeit unserer Begründungen, dem zugewandten Umgang in der Kommunikation, insbesondere mit den Beschwerdeführern, durch unser Service-Center.

Übrigens: Die Erfolgsquote beläuft sich bei den zulässigen Beschwerden in der Lebensversicherungssparte auf ca. 26 %, in den übrigen Sparten auf etwa 44 %. Zum Erfolg zählen wir, eben aus der Perspektive der Beschwerdeführer, auch die Abhilfen und Teilabhilfen durch die Unternehmen, eben all das, was die Beschwerdeführer dem von ihnen verfolgten Ziel näher bringt.

Ihre Einrichtung feiert in diesem Jahr ihr zwanzigjähriges Jubiläum, ist ein Erfolgsmodell und eine der ältesten Verbraucherschlichtungsstellen. Das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz gibt es seit fünf Jahren. Gibt es – mit Blick auf Ihre Erfahrungen- bei letzterem Verbesserungsbedarf?

DWS: Das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz ist aus meiner Sicht eine gute und erfolgreiche Konzeption. Es wäre vermessen zu sagen, dass das auch daran liegen mag, dass der Gesetzentwurf seinerzeit, im Jahr 2016, sich ein wenig an der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns orientiert hat. Es gibt ein paar technische Kleinigkeiten, zu denen das Gesetz den praktischen Notwendigkeiten angepasst werden könnte, um den Verbraucherschlichtungsstellen etwas mehr Raum zu lassen für die noch bessere Konzentration auf die eigentliche Aufgabe, die Beschwerdebearbeitung. Hier sind wir aber in einem bestens funktionierenden Austausch mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Alle Verbraucherschlichtungsstellen beteiligen sich daran. Das Ministerium legt glücklicherweise großen Wert auf diesen Erfahrungsaustausch.

Mit der Einführung des VSBG war zum ersten Mal gewährleistet, dass es für jede Art von Verbraucherstreitigkeit die Möglichkeit einer Schlichtung gibt. Gewährleistet wird dies durch Auffangschlichtung, eine Universalschlichtungsstelle des Bundes muss es immer geben, solange dies hierfür erforderlich ist. Sehen Sie hierin eine positive Entwicklung oder müsste die Lösung anders aussehen?

DWS: Die Idee, die staatliche Justiz von Konflikten zu entlasten, die sich mit einfachen Mitteln in kürzester Zeit befrieden lassen, wird mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz eindrucksvoll aufgegriffen. Es ist keine Konkurrenz zur staatlichen Gerichtsbarkeit. Die Verbraucherschlichtungsstellen haben eine Komplementärfunktion. Die Verbraucherstreitbeilegung folgt weitgehend dem Freiwilligkeitsprinzip. Sie hängt also davon ab, dass die jeweiligen Branchen eine solche Einrichtung schaffen und tragen und dann in den Vorzug einer kenntnisreichen, auf die Branche spezialisierten Schlichtung kommen. Daher ist es nur konsequent, für diejenigen Bereiche, in denen keine dem Freiwilligkeitsprinzip folgende branchenspezifische Schlichtungsmöglichkeit besteht, eine Auffangschlichtung einzurichten. Diese haben wir mit der Universalschlichtungsstelle des Bundes. Sie hat allerdings ein sehr breit angelegtes Beschwerdespektrum. Ein Problem ergibt sich daraus, dass die Teilnahmebereitschaft der Unternehmen in den jeweiligen Einzelfällen unterschiedlich ausgeprägt ist. Die konstruktive Teilnahme am Verfahren lässt sich indessen nur schwer erzwingen. Es gilt also auch in Zukunft weiter dafür zu werben, dass es sich lohnt, branchenspezifische Schlichtungsstellen einzurichten, aber auch die vorhandenen Schlichtungseinrichtungen zu nutzen und an einer Schlichtung teilzunehmen. Beim Versicherungsombudsmann haben wir diese Problematik jedoch nicht. Denn die über 290 Mitgliedsunternehmen unseres Trägervereins haben sich auf freiwilliger Grundlage zur Teilnahme am Verfahren verpflichtet.

Wie sieht für Sie ein ausgewogenes Verhältnis von Gericht und Schlichtung aus? Oder steht beides in Konkurrenz?

DWS: Noch einmal: Es gibt kein Konkurrenzverhältnis. Die Verbraucherschlichtungsstellen nehmen allein eine ergänzende Funktion war. Sie entlasten die staatliche Gerichtsbarkeit von Verfahren, die sich mit einfachen Mitteln einer Konfliktlösung zuführen lassen. Die Ausgewogenheit des Verhältnisses wird schon allein dadurch sichergestellt, dass die Beschwerdeführer die Schlichtungssprüche nicht akzeptieren müssen, sondern ihnen der Weg zur staatlichen Gerichtsbarkeit auch im Anschluss an ein Schlichtungsverfahren offensteht. Das kann auch gar nicht anders sein. Denn das wird schon durch die Rechtsweggarantie unserer Verfassung verbürgt. Gleiches gilt grundsätzlich für die Unternehmensseite. Es sei denn, die Unternehmen hätten sich freiwillig dazu verpflichtet, einen Schlichterspruch bis zu einer gewissen Beschwerdewertgrenze als für sich verbindlich zu akzeptieren. So ist das etwa beim Versicherungsombudsmann. Bis zu einem Beschwerdewert von 10.000 € kann ich die Unternehmen verpflichten, zu Gunsten des Beschwerdeführers und Versicherungsnehmers in einer bestimmten Weise zu verfahren.

Von dieser Kompetenz mache ich jedoch nur zurückhaltend Gebrauch. Im Hintergrund hat sie aber durchaus ihre Bedeutung bei Abhilfegesprächen.

Herr Dr. Schluckebier, vielen Dank für dieses Gespräch!

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