Verdammt, wir werden doch alt…

Am 5. März 1981 wurde in Freiburg das alternative Jugend- und Kulturzentrum „Schwarzwaldhof“ geräumt – also vor genau 35 Jahren. Das waren die guten, alten Zeiten...

An diesem Tag, dem 5.3.1981, fing Freiburg an, eine "grüne" Stadt zu werden. Foto: Marlies Decker / Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg, W14-0 Nr. 08636 / CC-BY

(KL) – Das sollen die guten, alten Zeiten gewesen sein? Ja, das waren sie. 1981  gab es in Deutschland und ganz Europa eine Jugendbewegung, die leer stehende Häuser besetzte, nach neuen Lebensformen suchte und diese ausprobierte und versuchte, sich von dem muffigen, drögen Lebensstil der von der Nazi- und Kriegszeit geprägten Generation der Eltern zu lösen. Diese Bewegung hatte ihren Ursprung in der Amsterdamer „Kraker-Bewegung“, die schon bald nach Berlin, Zürich, Freiburg, Münster und viele andere Städte überschwappte. Und die unsere Gesellschaft nachhaltiger beeinflussen sollte, als man das auf den ersten Blick erahnt.

1981, da gab es noch keine Handys, an den Festnetzapparaten wurde gerade die Wählscheibe durch Ziffernblöcke ersetzt, AIDS war unbekannt und „chillen“ hätte man höchstens für ein scharfes Gewürz gehalten. Aber klar, so gut waren die Zeiten dann auch wieder nicht, wir hatten andere Sorgen.

Deutschland war zu dieser Zeit von der Nachkriegsgeneration geprägt, einer Generation freudloser und verbitterter Menschen, die ihr kollektives Schuldbewusstsein durch Werte wie „Disziplin“, „Arbeit“ und „Ernsthaftigkeit“ zu kompensieren versuchte. Und genau gegen diese Freudlosigkeit begehrte Europas Jugend auf.

So auch in Freiburg. Nach dem „Dreisameck“, dem leer stehenden Gebäude einer Versicherung, das eine Weile besetzt gewesen war, kam der „Schwarzwaldhof“. Hier lebten junge Menschen auf andere Weise zusammen, als es dem „Establishment“ gefiel, es gab jede Menge Kulturveranstaltungen, das „Crash“, die erste Punk-Kneipe, Kinonächte, politische Workshops, das pralle Leben. So lange, bis Lothar Späth angesichts der immer zahlreicher stattfindenden Hausbesetzungen in Baden-Württemberg dekretierte, „dass keine Hausbesetzung im Land länger als 24 Stunden geduldet würde“.

Was dazu führte, dass am 3.3.1981 das Haus in der Wilhelmstraße 36 in Freiburg besetzt wurde (diese Besetzung dauerte übrigens etwas länger als 24 Stunden, nämlich acht Jahre…) – und das war der ideale Vorwand für die Landesregierung, gegen diese Bewegung einzuschreiten. Stuttgart schickte 4000 Polizisten des berüchtigten „Sondereinsatzkommandos“ (SEK) nach Freiburg, die in einer militärisch anmutenden Aktion den Schwarzwaldhof räumten, die Bewohner auf die Straße setzten und die Stadt Freiburg zwei Wochen lang in einen Belagerungszustand versetzten, der selbst „braven“ und unbeteiligten Bürgern die Zornesröte ins Gesicht trieb. Bis zu 20.000 Menschen demonstrierten zwei Wochen lang täglich gegen diese Polizeibelagerung, die bei Jüngeren Unverständnis, bei Älteren düstere Erinnerungen hervorrief.

Die Jugendbewegung konnte diese Aktion allerdings nicht stoppen. Nachdem kurzzeitig das „Marienbad“ als Ersatz herhalten musste, wurde später das „Autonome Zentrum“ im Glacisweg besetzt und vor allem, die knallharte Reaktion aus Stuttgart machte eine neue politische Bewegung stark, die sich gerade aus Teilen der Anti-AKW-, der Friedens- und Frauenbewegung gründete  – die Grünen.

Einige der Damen und Herren, die heute im Freiburger Stadtrat und anderen honorigen Positionen sitzen, tranken damals Dosenbier im „Crash“ und die Tatsache, dass Freiburg seit Jahren einen grünen Bürgermeister in einem von den Grünen regierten Bundesland hat, lässt sich auch damit begründen, dass die traumatischen Bilder einer von der Staatsmacht belagerten Stadt viele Menschen dazu bewegten, politisch einen anderen Weg einzuschlagen.

Ja, die Zeiten waren damals aufregend, der Umbruch lag in der Luft und klar, Revolution ist sexy. Aber hätte uns damals jemand gesagt, dass wir gerade das erleben, was wir 35 Jahre später als „die gute, alte Zeit“ empfinden würden, dann hätten wir uns wohl an die Stirn getippt…

1 Trackbacks & Pingbacks

  1. Ein halbes Jahrhundert Haus der Jugend | jugendblog-freiburg

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste