Verschollener Liebeszauber – Festival Arsmondo auf der Opernbühne

Zwei Opern an einem Abend und beide führen uns in die Welt der Zigeuner und ihren sesshaften Mitmenschen in der Zeit um den Ersten Weltkrieg. Damals zogen sich beide Sphären noch an – und heute zumindest noch auf der Bühne der Straßburger Rheinoper.

Vor lauter Liebeszauber verschollen, ein letzter Wink des Schicksals überm Zaunpfahl. Foto: Illustration von M. Grandjouan / Opera du Rhin Strasbourg

Gott dort oben, sag, warum nur
schufst du das Zigeunerblut?
Endlos hetzt man’s, endlos jagt man’s
und kein Ort zur Rast uns gut?

(Michael Magercord) – So seufzt, wer eigentlich gar kein Zigeunerblut in sich hat und sich nun trotzdem zu den Rastlosen zählen darf. Einer, der aus seiner festen Welt gefallen ist, um in die freie Natur geworfen zu werden – und alles nur aus lauter Liebe zu der Zigeunerin Zefka.

Der Bauernsohn Janíček aus der Kammeroper von Leoš Janáček weigert sich, die von seinem Vater ausgesuchte Braut zu heiraten, stattdessen verfällt er der lebenslustigen Zefka. Und als sie schwanger wird, ward es vom Schicksal entschieden: Er löst sich endgültig von den Lebenszwängen des Großbauers und zieht hinaus in die Natur. Ein Sesshafter macht sich auf in etwas, was man in seiner Welt gerne auch mal Freiheit nennt. Allerdings erfahren wir von seinem Schicksal einzig aus seinem Tagebuch, dem er einige Reime anvertraute und das sich in der Kammer seines alten Zuhauses auffand.

Diese Gedichte – getextet vom Volksdichter Ozef Kalda – sind es, die einem Liederzyklus des mährischen Komponisten aus dem Jahr 1921 zugrunde lagen. Leoš Janáček trug die alte Geschichte schon länger in sich, bis ihn im schon fortgeschrittenen Alter von 62 Jahren noch einmal so richtig die Liebe entfachte. Nein, keine Zigeunerin war es, für die er entflammte. Aber seine Liebesgeschichte war mindestens ebenso unmöglich wie die des Bauernsöhnchens aus dem Tagebuch, zählte seine Angebetete doch gerade mal 27 Lenze. Und noch 1927 schrieb er seiner reifen Liebe, dass er bei diesen Liedern stets an sie gedacht habe: „Du warst mir diese Zefka.” Ja, auch diese Liebe war eine, zu der man sich die Freiheit nehmen muss, wollte man sich über alle Grenzen der üblichen Schicklichkeiten hinweg ihrem Bann überlassen.

Aus dem Liederzyklus wurde schon bald eine Kammeroper mit der so typischen Musik des Meisters der zarten Gefühlswallungen, ja richtig: Wallungen, aber eben jene, die die zärtliche Seite der Aufgewühltheit hervorrufen. Janáček hat auf direkte Zitate von Volksliedern oder Zigeunermusik verzichtet, denn ja, diese Geschichte, die nun „Tagebuch des Verschollenen” heißt, wird ja nicht als Aufbruch eines jungen Mannes in eine lichte Zukunft erzählt, sondern als Flucht aus der heimischen Scholle.

Und doch, er war aufgebrochen und zwar in die Welt, die bereits im ersten Teil dieses Opernabends in dem Ballettstück „Liebeszauber” für Orchester und eine Mezzosopran-Stimme des Spaniers Manuel de Falla vorgeführt wird. Mit seiner Musik, vermutlich inspiriert von dem Gesang des Hausmädchens der Familie, geht es mitten ins Leben der Gitanos von Andalusien. Nicht zuletzt durch dieses Werk wurde der Flamenco der Zigeuner in die bürgerlichen Konzertsäle der Welt getragen.

Der Liebeszauber geht aus von einer Gitana, die mit ihren aktuellen Liebhaber einfach keinen ruhigen Moment zum Rumturteln finden kann. Bei jedem ihrer Treffen geht ihnen der eifersüchtige Geist ihres verstorbenen Ex mit seinen nervigen Auftritten auf den selbigen. Dunkle Magie und altüberlieferte Beschwörungen an das Totenreich nutzen nicht: Der Geist wird keine Ruhe geben, wenn nicht auch er mal wieder ein wenig Ablenkung durch ein junges hübsches Mädchen erfährt. Endlich betört eine Freundin den Störenfried mit ihrer Tanzkunst, nun ist er abgelenkt, und endlich können die Liebenden mal so richtig knutschen, und zack, sie sind vom Geist erlöst.

Die beiden Stücke aus Mähren und Spanien sind auf der Bühne der Rheinoper zu einem Programm vereint, zeugen doch beide Werke aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg von den Fantasmen, die das fahrende Volk damals bei den in ihren Theatersesseln Sesshaften auszulösen vermochte. Die Vorstellung vom Abenteuer und Magie eines ungebundenen Lebens ist ja für den in seine Zwänge eingebundenen zivilisations- und kriegsgebeutelten Menschen nur allzu verlockend. Früher auf dem Lande waren die Berührungspunkte zwischen den beiden Welten wohl noch zahlreicher. Und sicher verliefen die Begegnungen in ihrem offenen Nebeneinanderher in ihrer gegenseitigen Anziehung und gleichzeitiger Abneigung noch unverkrampfter als heutzutage selbst jene, die von einem Wohlwollen begeleitet werden.

Es ist einfach so: Kaum jemand von uns vermag noch von dem Zigeunerleben, wie es sich heute darbietet, träumen. Und jede Beziehung der Mehrheitsgesellschaft zu dieser Minderheit trägt immer auch paternalistische Züge, was zu so manchen Missverständnissen führen kann, wie die folgende Begebenheit aus dem nordfranzösischen Lille aufzeigen mag: Eine Gruppe von osteuropäischen Roma siedelte auf einem unbebauten Rasenstück. Eine Gruppe von bemühten Nachbarn sammelte Kleiderspenden. Die Schränke wurden durchforstet, anstatt die alten Klamotten wegzuwerfen, gab man sie den Roma. Die trugen die ausgemusterten, aber oft noch guten Kleider so lang es ging, dann warfen sie sie beiseite, so dass sich schon bald Altkleiderhäufchen um das Lager herum bildeten. Nun aber kam bei den gutwilligen Spendern Unmut auf, als sie ihre doch noch so schönen Sachen so achtlos behandelt sahen. Also nein, da räumt man seine Schränke leer von überschüssigen Zeugs und dann ist diese undankbare Schluderei das Ergebnis! Die Spendenbereitschaft sank jedenfalls spürbar – ob man nicht auch gleich eine Waschmaschine hätte mitliefern müssen?

Die Frage fand keine praktische Antwort mehr, das wilde Lager wurde wenig später behördlicherseits geräumt. Um vieles harmonischer verlaufen dann doch die Begegnung mit den Produkten der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Kultur der Roma, Sinti, Calé, Manush, Gitanes oder all den anderen Zigeunervölkern, wenn auch nicht weniger komplex. Denn tatsächlich ist es immer auch eine Begegnung mit der Freiheit und ihren so unterschiedlichen Graden. Schon die Geschichte der Zigeuner nimmt sich ihre Freiheit, denn so richtig weiß niemand, woher sie eigentlich kommen, nicht einmal sie selbst. Doch wozu gibt es die Freiheit der Mythen, der Legenden und der Kunst? Um genau diese Wissenlücken zu füllen – und zwar egal, ob sich die Völker selbst ihre ganz eigene Geschichte erzählen, oder sich die Anderen daraus irgendetwas zusammenreimen, worin sich letztlich nur ihre Vorstellungen von dem Andere widerspiegeln.

Der letzte Ton des letzten Liedes aus dem Tagebuch des Vorschollenen „Lebt nun wohl, ihr Fluren“ ist jedenfalls ein plakativ selbstbewusstes hohes C. Damit werden wir in unser Alltagsschicksal entlassen, in diese moderne Welt nämlich, worin so manche Zwänge heimlich walten und deren Freiheiten sich meist erst viel zu spät als vermeintliche Freiheiten entpuppen. Also auf, ihr Freien dieser Welt, treten wir dem modernen Schicksal von nun an selbstbewusst gegenüber, jawohl, denn soviel immerhin ließe sich ja auch heutzutage noch vom Zigeunerleben lernen… Aber ach, das wird doch wieder nichts, denn wie hieß es so erkenntnisreich im Tagebuch des Verschollenen:

Flieh, wenn das Schicksal ruft,
doch noch entfloh ihm keiner!

Der Liebeszauber / Tagebuch eines Verschollenen
Manuel de Falla / Leoš Janáček
Zwei Kammeropern in einer Neuproduktion der Rheinoper Straßburg
Regie: Daniel Fish
Dirigent: Łukasz Borowicz
Symphonieorchester Mülhausen
Chor der Rheinoper

Straßburg – Opéra
DI 15. März, 20 Uhr
DO 17. März, 20 Uhr
SO 20. März, 15 Uhr
DI 22. März, 20 Uhr
DO 24. März, 20 Uhr

Mülhausen – La Sinne
FR 1. April, 20 Uhr
SO 3. April, 15 Uhr

Infos und Ticket unter: www.operanationaldurhin.eu

Das weitere Programm des Festivals ARSMONDO finden Sie HIER!

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