Von Helden und Bösewichtern

Wir leben in mehr als unruhigen Zeiten. Die Fragen, die sich stellen, sind sehr komplex und da liegt es nahe, dass man nach einfachen Antworten sucht. Aber stimmen die auch?

Endstation für Helden - so endet es immer... Foto: Ravetracer / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Nach über zwei Jahren der Pandemie und mehr als einem Monat Krieg in der Ukraine, liegen die Nerven blank. Verstehen kann die Lage ohnehin niemand mehr, wir sind darauf beschränkt, mit den Situationen umzugehen, auf sie zu reagieren. Doch je komplexer die Fragen sind, desto größer ist der Wunsch nach einfachen Antworten. Und plötzlich malen wir die Welt in Schwarz/Weiß und verteidigen vehement unsere Vermutungen, denn mehr sind diese „Antworten“ nicht. Aber ob unsere „Vermutungen“ stimmen, das kann niemand sagen.

In der Ukraine haben wir eine solche Schwarz/Weiß-Situation. Da ist der unbestrittene Bösewicht Putin und der „Held“ Selensky. Gut gegen Böse. Da muss man nicht viel nachdenken. Und es sollte sich niemand einfallen lassen, Selensky zu hinterfragen, denn der ist ja „der Gute“. Derjenige, der „unsere Werte“ bis zum letzten Blutstropfen verteidigen lässt, Werte, die kaum jemand definieren kann und die selbst im so fortschrittlichen Westen permanent mit Füssen getreten werden, falls es sie überhaupt gibt.

Aber wie heldenhaft ist es, wenn man aus reinem Nationalismus sein Land und sein Volk opfert? Schon über 4 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen haben die Flucht ergreifen müssen, Städte wie Mariupol oder Charkiv sind bereits dem Erdboden gleichgemacht, Lviv und Odessa sind ebenso gefährdet wie Kiew und sollten die nuklearen Anlagen in der Ukraine zum Kriegsziel der Roten Armee werden, sind die Folgen nicht auszudenken. Hätte Selensky kapitulieren sollen? Ist es „richtig“, für eine Nation sein Leben zu opfern?

Wir wollen Helden. - Das ist nachvollziehbar, denn in einer solche verworrenen Situation zwischen Pandemie und Krieg wäre es klasse, käme ein Held mit magischen Kräften daher, der alle Probleme mit einem Schlag löst. Doch leider ist auch Selensky kein solcher „Held“, stattdessen versucht der ukrainische Präsident mit allen Mitteln, die internationale Gemeinschaft in den III. Weltkrieg zu verwickeln.

Wer heute von „Frieden“ redet, wird verächtlich als „Feigling“ oder „Verräter“ bezeichnet. Denn wir haben ja einen Helden, dessen Forderungen nach mehr Krieg nur erfüllt werden müssen, damit „das Gute“ siegt. Aber ist Selensky nicht ebenso ein Nationalist wie Putin? Opfern nicht beide Staatenlenker die Menschen ihres Landes für ihre Vorstellungen von Grenzen, Wirtschaft, Geostrategie und Landbesitz?

Niemand ist nur „Held“ oder „Bösewicht“, diese Kategorien sind zu einfach gestrickt. Man muss auch auf das Ergebnis schauen und das Ergebnis sieht nicht so heldenhaft aus, wie es die Propaganda auf beiden Seiten darstellen will.

Die Welt muss nicht nur Putin, sondern auch Selensky ein Ausstiegs-Szenario anbieten, bei dem keiner sein Gesicht verliert. Doch das ist vermutlich nur Wunschdenken, auf beiden Seiten wird das Kriegsgeschehen bevorzugt. Dass dieses Szenario in allen beteiligten und selbst weniger beteiligten Ländern eine Katastrophe zur Folge haben wird, wie übrigens alle Kriege, scheint niemand so richtig wahrhaben zu wollen. Es gibt nur einen Königsweg aus diesem Krieg – und der führt über den Verhandlungstisch. Auch, wenn das nicht dem allgemeinen Kriegsgetrommel entspricht, so ist dies doch der einzige Weg, Abertausende Menschenleben zu retten. Das mag zwar nicht heldenhaft sein, aber echte Helden, die gibt es leider nur im Märchen.

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