(Summer special 2022) – Vor der Stichwahl – Frankreich ist gespalten

Die Nervosität vor der Stichwahl am Sonntag zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen ist greifbar und das Land ist völlig zerrissen. Grund zur Freude gibt es für niemanden.

2022 wie 2017 - das Duell Macron - Le Pen wird langsam öde... Foto: Lorie Shaull from St. Paul, United States / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

Das “Superwahljahr” in Frankreich war eine einzige Enttäuschung. Extremisten auf beiden Seiten und in der Mitte ein Präsident, der sich weiterhin für eine Art “Sonnenkönig” hält… 

(KL) – Familien streiten sich, Freundschaften werden beendet, und wer immer am Sonntag die Stichwahl um das höchste französische Staatsamt gewinnt, wird mehr als die Hälfte der Franzosen gegen sich haben. Vielen Franzosen wird erst jetzt klar, dass sich das Land hin zu einer „Orbanisierung“ bewegt und dass ein Wahlsieg von Marine Le Pen ein ganz schwarzes Kapitel für Frankreich eröffnen könnte. Dennoch scheinen die Franzosen sehr genau zu wissen, für wen sie am Sonntag stimmen werden oder ob sie sich enthalten werden. Und das Ergebnis am Sonntag dürfte knapper ausfallen als 2017.

In den sozialen Netzwerken überschlagen sich aktuelle Amtsinhaber auf allen Ebenen, Vertreter von Verbänden und Einzelpersonen mit Wahlempfehlungen, als ob dies auf der Zielgeraden dieser Wahl noch irgendjemand umstimmen könnte. Die Fronten sind verhärtet, eine echte Debatte über Inhalte findet kaum noch statt, dafür wird der öffentliche Diskurs, wie seit 20 Jahren, auf die einfache Formel reduziert: „Wählt mich oder ihr bekommt den Faschismus“. Dass es so weit kommen konnte, daran haben alle kräftig mitgewirkt, einschließlich des Präsidenten Macron, doch ist das heute fast zweitrangig, in einem Moment, in dem die Rechtsextremen so nah an einem Wahlsieg sind wie nie zuvor.

Die Ereignisse ähneln denen von 2017. Damals, als es in der Stichwahl zum gleichen Duell Macron – Le Pen kam wie 2022, hatte sich die rechtsextreme Kandidatin durch grottenschlechte Auftritte zwischen den beiden Wahlgängen selbst aus dem Rennen katapultiert. Und 2022 hat sie offenbar nicht viel dazu gelernt. Zwischen den beiden Wahlgängen veröffentlichte Le Pen zahlreiche haarsträubende Stellungnahmen, mit denen die dem Schreckgespenst des Faschismus in Frankreich konkrete Formen gab. Wie vor fünf Jahren hätte sie wohl eine echte Chance gehabt, wenn sie sich bedeckt gehalten hätte, doch sobald sie den Mund aufmacht, um ihre kruden Visionen einer hasserfüllten französischen Gesellschaft kundzutun, sinkt sie sofort in den Umfragen.

Doch gewonnen hat Macron das Rennen noch lange nicht. In den fünf Jahren seiner Amtszeit hat er es sich mit fast allen Bevölkerungsgruppen verscherzt und wenn er am Sonntag gewinnen sollte, wird er dennoch rund drei Viertel der Franzosen gegen sich haben, denn viele Franzosen werden wieder einmal nicht für ihn, sondern gegen den drohenden Faschismus stimmen. Dass sie sich damit fünf Jahre der Perfektionierung des digitalen Totalitarismus einhandeln, ist ihnen bewußt und es handelt sich um ein Schulbeispiel einer „Wahl des geringsten Übels“.

Die aggressive Stimmung in den täglichen Debatten wird nichts mehr nützen, die Franzosen haben sich bereits im stillen Kämmerlein entschieden und die Positionen sind so weit voneinander entfernt, dass sich wohl heute niemand mehr überzeugen lassen wird, seine Meinung zu ändern und seine Stimme dem jeweils anderen Kandidaten zu geben.

Die Spaltung der Gesellschaft, die Emmanuel Macron sowohl in der Krise der „Gelbwesten“, zur Frage der Rentenreform und vor allem in der Pandemie betrieben hat, zahlt sich nun für ihn aus. Nur – ist es wirklich Aufgabe eines Präsidenten, die Bevölkerung zum eigenen Machterhalt zu spalten?

So haben die Franzosen am Sonntag die Wahl zwischen einem nicht geliebten Präsidenten, einer gesellschaftlich katastrophalen Bilanz einerseits und dem offenen Faschismus andererseits. Doch haben die Franzosen wenigstens im Juni die Möglichkeit, diese Wahl durch ein entsprechendes Stimmverhalten bei den Parlamentswahlen ein wenig abzufedern, indem sie dem oder der nächsten Präsidenten(in) die Mehrheit im Parlament verweigern, was 2022 sehr wahrscheinlich ist. Hatten die Franzosen 2017 Emmanuel Macron die Schlüssel des Landes in die Hand gedrückt, werden sie dieses Jahr dem Sieger oder der Siegerin der Wahl ein Parlament geben, mit dem er oder sie nicht „durchregieren“ kann. Denn das dies für das Land nicht gut ist, haben die letzten fünf Jahre gezeigt.

Der Countdown läuft. Noch fünfmal schlafen und dann wissen wir, wie es in Frankreich weitergeht. So bedrohlich und mittelmäßig wie heute oder aber mit einer echten politischen Katastrophe.

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