Wahlempfehlungen à la française

Das französische Wahlsystem mit zwei Wahlgängen führt dazu, dass die Verlierer des ersten Wahlgangs Empfehlungen für die Stichwahl abgeben. Aber wer hört schon auf Loser?

Die Geschichte mit den Wahlempfehlungen ist für Deutsche unverständlich... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Noch neun Tage bis zur Stichwahl der wichtigen OB- und Kommunalwahlen in Frankreich. Der erste Wahlgang hatte am 15. März stattgefunden, bereits mitten in der Covid-Krise und nur 25 bis 30 % der Wahlberechtigten gingen tatsächlich wählen, nachdem man ihnen erst kurz zuvor den Lockdown angekündigt hatte. Insofern ist die Stichwahl am 28. Juni so etwas wie der erste Wahlgang und die Karten werden neu gemischt. Dass die Verlierer des ersten Wahlgangs nun „Wahlempfehlungen“ für die Stichwahl aussprechen, ist für Deutsche kaum nachvollziehbar.

Gibt es in Frankreich tatsächlich Menschen, die diesen „Wahlempfehlungen“ folgen? Empfehlungen von Politiker*innen, die es selbst nicht in diese Stichwahl geschafft haben? Oder von abgehalfterten Lokalfürsten, die selber gar nicht mehr antreten und in der Bevölkerung so beliebt sind wie ungewaschene Socken?

In Straßburg haben sich nun die früheren Bürgermeister*innen Fabienne Keller und Roland Ries (ja, ja, er ist offiziell noch im Amt, was man seit langer Zeit immer wieder betonen muss…) für ihren politischen Ziehsohn Alain Fontanel ausgesprochen, doch diese Empfehlung ist für Alain Fontanel eher eine Hypothek als ein Geschenk. Denn wie etliche andere Lokalgrößen hatte auch Fontanel seiner Partei, der PS, den Rücken gekehrt, in der Hoffnung, dass der frühere Hoffnungsträger Emmanuel Macron mit seiner „La République en Marche“ bessere Perspektiven bieten könne. Das aber war nicht der Fall – nach zwei katastrophalen Amtsjahren, die von sozialen Konflikten, Straßenschlachten und einer teilweise unerträglichen Arroganz der Regierung gegenüber dem „kleinen Volk“ geprägt war, scheint die „Macronie“ bereits am Ende zu sein.

Flugs rutschte Fontanel noch ein Stück weiter nach rechts, indem er seine erfolglose Liste des ersten Wahlgangs mit derjenigen der stramm konservativen „Les Républicains“ von Jean-Philippe Vetter fusionierte. Fast witzig ist dabei, dass seine Anhänger davon sprechen, dass dieser heftige Rechtsrutsch auf „Werten“ und „Loyalität“ basiert – dabei geht es ganz offensichtlich nur noch um die persönlichen Ambitionen der Mitglieder des scheidenden Stadtrats, die gerne ihre Pöstchen behalten würden. Mehr „alte Welt“ geht kaum noch.

Doch zurück zur Frage, was eine Wahlempfehlung von aus der aktiven Politik ausgemusterten Lokalhelden wert ist. Es ist schwer vorstellbar, dass es Wähler*innen geben soll, die im stillen Kämmerlein sitzen und denken „na ja, wenn Roland Ries und Fabienne Keller (im übrigen lange Jahre erbitterte politische Gegner…) empfehlen, für die rechte Liste zu stimmen, dann mache ich das eben…“. Könnte es nicht sein, dass unentschlossene Wähler*innen denken, dass wenn sich ehemaligen Lokalpolitiker*innen schon völlig ihren politischen Kompass verloren haben, dass es vielleicht Sinn machen könnte, diese Empfehlungen zu ignorieren und eine eigene Wahl zu treffen?

Die französische Parteienlandschaft hat sich unter Präsident Macron grundlegend verändert, der politische Verrat ist zum völlig normalen Stilmittel geworden. Man stelle sich vor, ein Hubertus Heil würde zu einer politisch konservativen Partei wechseln – würde ihn dann noch jemand wählen? Wohl kaum.

Mit ihren Wahlempfehlungen haben Fabienne Keller und Roland Ries ihrem Schützling einen Bärendienst erwiesen – der Fontanel mehr Stimmen kosten als ihm bringen wird. Manchmal ist es eben wirklich besser, einfach zu schweigen und den Dingen ihren Lauf zu lassen.

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