Wahlen in der Türkei – das programmierte Chaos

Bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei liegt nach offiziellen Angaben Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan vorne, hat aber die 50%-Mehrheit verpasst. Also wird es am 28. Mai eine Stichwahl geben. Doch ruhig wird die nicht verlaufen.

Man darf gespannt sein, mit welchen Mitteln Erdogan versuchen wird, seine Präsidentschaft zu verteidigen. Foto: DonkeyHotey / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die Türkei ist zutiefst gespalten und das zeigte auch der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl am Sonntag. Obwohl noch keine endgültigen Zahlen vorliegen, sieht es so aus, als würde Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan mit 49,25 % der Stimmen führen, während sein Konkurrent Kemal Kiliçdaroglu bei 45,0 % liegt (Quelle Halk TV, 99,83 % der Wahllokale ausgezählt). Das bedeutet, dass es am 28. Mai eine richtungsweisende Stichwahl geben wird, wobei bereits nach dem ersten Wahlgang zahlreiche Unregelmäβigkeiten gab, die von beiden Lagern heftig kritisiert werden. Bereits der Wahlabend verlief ziemlich chaotisch und gleich, wie es am 28. Mai ausgehen wird, muss man damit rechnen, dass die Hälfte der türkischen Bevölkerung das Ergebnis nicht akzeptieren wird. Was dann passiert, steht in den Sternen.

Für Recep Tayyip Erdogan ist das eine neue Situation. Gewohnt, bei Wahlen die gewünschten Ergebnisse einzufahren, muss der amtierende Präsident damit rechnen, dass es, bei korrektem Ablauf des zweiten Wahlgangs, einen Wechsel an der Spitze des türkischen Staats geben kann. Zwar zeigen sich beide Lager siegessicher, doch kann man die Spaltung in der türkischen Gesellschaft nicht wegdiskutieren. Die Hälfte der Türken will das Ende des repressiven Systems Erdogan, die andere Hälfte will eine Rückkehr zu einem demokratischeren System, wobei auch das kein Selbstläufer wäre, denn im Falle eines Erfolgs von Kemal Kiliçdaroglu wird das Regieren auch nicht einfach, denn Kemal Kiliçdaroglu steht für eine Allianz aus sechs verschiedenen Parteien, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie sich das Ende der Regierung Erdogan wünschen. Wenn man überlegt, wie schwierig das Regieren in Deutschland mit einer Koalition aus drei Parteien schon ist, kann man sich vorstellen, wie schwer es sein wird, gemeinsame Positionen zwischen sechs Koalitionspartnern zu finden.

Beide Kandidaten sehen eine Mehrheit der türkischen Wählerschaft auf ihrer Seite, doch geht es bei dieser Wahl so eng zu, dass selbst eine Prognose für den 28. Mai unmöglich erscheint. Und dann steht da auch noch die Frage im Raum, wie sich beide Kandidaten im Falle einer Niederlage verhalten werden. Wird Erdogan eine Niederlage akzeptieren oder versuchen, mit Hilfe des Militärs seinen Posten einfach zu behalten? Würde Kemal Kiliçdaroglu eine Niederlage akzeptieren oder würden seine Anhänger auf die Straβe gehen? Es ist nur schwer vorstellbar, dass einer der beiden Kandidaten am 28. Mai seine Niederlage eingesteht und dem Gegner zum Erfolg gratuliert. Massendemonstrationen und Straβenschlachten scheinen vorprogrammiert zu sein und die Türkei droht im Chaos zu versinken.

Auch die parallel zur Präsidentschaftswahl organisierte Parlamentswahl hat ein Ergebnis gebracht, das beide Lager zu ihren Gunsten interpretieren. Die Erdogan-Partei AKP ist zwar wieder die stärkste Partei geworden, doch ihre 35,4 % reichen auch nicht, um Mehrheiten im Parlament zu schaffen. Die sechs Oppositionsparteien kommen gemeinsam auf eine Mehrheit im Parlament und sollte sich Erdogan am 28. Mai durchsetzen können, muss man damit rechnen, dass das ohnehin nicht besonders mächtige Parlament weiter entmachtet wird und sich das Präsidialsystem noch weiter vertieft.

Beobachter internationaler Medien rechnen nun mit einem brutalen Wahlkampf in den nächsten zwei Wochen. Verschiedene Beobachter haben sogar die Theorie aufgestellt, dass Erdogan in diesen zwei Wochen den Austritt der Türkei aus der NATO ankündigen könnte, um damit zwei Dinge zu erreichen. Erstens könnte er mit so einem Schritt an das Nationalgefühl seiner Landsleute appellieren (und seit Donald Trump weiβ man, dass „make xx great again“ bei Wählern gut verfängt. Zum anderen würde ein solcher Schritt Erdogan ermöglichen, sich näher an die BRICS-Staaten heran zu manövrieren, was er bereits seit Monaten versucht. China und Russland dürften als Partner für Erdogan interessanter sein als die EU, die der Türkei seit einem Vierteljahrhundert den Zutritt zur EU blockiert.

Nun wird vor allem die Frage interessant, welche internationalen Organisationen die Stichwahl am 28. Mai beobachten werden. Dass es beim ersten Wahlgang zu Unregelmäβigkeiten gekommen ist, scheint klar zu sein. Doch so eng, wie es in der Türkei gerade zugeht, muss man damit rechnen, dass es auch bei der Stichwahl zu Manipulationen und Betrug kommen wird.

So oder so, die Türkei steuert ins Chaos hinein. In einem Land, das genau in der Hälfte gespalten ist, wird es schwer werden, ein Ergebnis zu akzeptieren. Die nächsten Wochen und Monate werden sehr schwer für die Türkei werden und die Folgen dieser Wahlen wird man sowohl in Europa, als auch in Asien deutlich spüren. Zusammen mit all den anderen Spannungen im Osten Europas ist das eine Entwicklung, die gefährlich ist. Die Welt wird diese nächsten Wochen in der Türkei sehr aufmerksam verfolgen.

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