War da nicht noch was mit dem Brexit?

Es gibt momentan andere Themen, die uns in Atem halten. Doch in der Zwischenzeit rückt der von Boris Johnson und den Briten orchestrierte „Hard Brexit“ immer näher.

Selbst Zauberer Merlin und Fee Viviane werden den Brexit nicht mehr stoppen können... Foto: Felvalen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Bislang ist der „Brexit“ ein ziemlich theoretisches Konzept, das Boris Johnson und seine Vorgänger Theresa May und David Cameron den Briten gut vor dem Hintergrund eines falsch vermittelten Nationalstolzes verkaufen konnten. Denn noch hat sich für die Briten kaum etwas geändert. Sie sind, trotz der beiden Abstimmungen 2016 und 2019, immer noch in der Zollunion, genießen nach wie vor die Vorteile des europäischen Binnenmarkts und haben die Schwierigkeiten, die mit dem „Brexit“ einhergehen werden, noch nicht einmal ansatzweise zu spüren bekommen. Insofern hatte Boris Johnson bisher leichtes Spiel. Doch langsam fangen die Briten an zu begreifen, was dieser „Brexit“ tatsächlich für sie bedeuten wird.

Seit Wochen paradiert Boris Johnson durch das Vereinigte Königreich, das bereits erste Auflösungserscheinungen in Schottland und Nordirland zeigt, und lässt die Muskeln spielen, indem er sich öffentlich selbst die Frage stellt, ob es sich überhaupt noch lohnt, weiter mit der EU zu verhandeln. „Die EU muss ihr Verhalten gegenüber Großbritannien komplett verändern“, betont er immer wieder. Aber warum eigentlich? Die EU hat keinerlei Grund, den Briten weiter Geschenke zu machen, denn das hat sie seit 1973 reichlich getan. Vielleicht war das damals auch der Fehler, dass die damalige EWG (aus der dann die EU wurde) dem britischen Regierungschef Edward Heath und später Margaret Thatcher so weitreichende Zugeständnisse machte.

Auch, wenn man heute immer mehr Stimmen in Großbritannien hört, die erstaunt feststellen, dass der „Brexit“ katastrophale Folgen für die britische Wirtschaft, die Lebensbedingungen der Briten und selbst den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs haben wird, haben sich die Briten diese „Katastrophe mit Ansage“ selbst zuzuschreiben. Zweimal hatte sie die Gelegenheit, den „Brexit“ durch eine demokratische Abstimmung zu verhindern, beide Male haben sie diese Gelegenheit nicht genutzt. Ein Beispiel dafür, was populistische Nationalisten für Schäden anrichten können…

Nun ist aber die Schadenfreude keine politische Dimension und der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier, früherer französischer Außenminister, führt die Verhandlungen auf verantwortungsvolle Art und Weise. Die Chancen stehen hoch, dass es ganz kurz vor Torschluss zu einer Art „Notvereinbarung“ kommen wird, denn die EU wird Großbritannien nicht komplett an die Wand fahren lassen, auch, wenn dies das Ziel des britischen Regierungschefs ist, der für seinen völlig überspitzten Nationalismus bereit ist, das Wohlergehen seiner Landsleute zu opfern. Doch muss den Briten langsam klar werden, dass sie nicht weiterhin die Vorteile der EU nutzen können, ohne sich an die Spielregeln des europäischen Binnenmarkts zu halten.

Es wird weder einen vertraglich geregelten, noch einen „Hard Brexit“ geben – Großbritannien muss eine wie auch immer geartete Vereinbarung mit der EU treffen, da ein kompletter Ausstieg aus dem Binnenmarkt die britischen Exporte in die EU bereits im ersten Jahr durch Zölle in Höhe von 3,2 Milliarden Euro verteuern würde, wie britische Experten ausgerechnet haben. Dazu würde sich die Einfuhr von Waren aus der EU ebenfalls dramatisch verteuern, was sich wiederum auf die Kaufkraft der Briten auswirken würde. Die EU will ihrerseits nicht als „Henker“ der Briten auftreten und hat ein Interesse daran, dass Großbritannien nicht vollständig von der europäischen Landkarte verschwindet und als Handelspartner für die 27 verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten erhalten bleibt.

Und so werden wir noch ein paar Wochen einen arroganten und realitätsfremden Boris Johnson erleben, der vollmundig verkünden wird, dass die britische Insel keine Vereinbarung mit der EU braucht, um dann im letzten Moment einer kurzfristig ausgehandelten Vereinbarung zuzustimmen. Und da die Briten auch vier Jahre nach dem ersten Brexit-Referendum keine Ahnung haben, was sie eigentlich wollen, stehen die Chancen hoch, dass die Fristen für eine Vereinbarung einfach verlängert werden, so, wie es bereits seit Jahren der Fall ist. In der Zwischenzeit beobachtet Europa diesen „Brexit“, schüttelt den Kopf und denkt im Stillen: „Die spinnen, die Briten!“.

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