Warten auf den „Siegesplan“

Seit Wochen kündigt der ukrainische Präsident Selenskyi seinen „Siegesplan“ an, während er gleichzeitig weltweit Geld und Waffen einsammelt, weil die Ukraine ansonsten keine Chance gegen Russland hat.

Wie viele Hunderttausende Menschen müssen noch für die irrige Annahme sterben, dass dieser Konflikt militärisch für die Ukraine entschieden werden kann? Foto: Taras Gren, Ministry of Defense of Ukraine / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Einerseits formulieren Militärexperten und auch ukrainische Politiker die Sorge, dass die Ukraine immer weiter ins Hintertreffen gerät, es desertieren immer mehr Soldaten von der Front, haben 600.000 ukrainische Männer das Land verlassen und rücken die russischen Soldaten in der Ostukraine immer weiter vor – andererseits erzählt Selenskyi seit Wochen von seinem „Siegesplan“, mit dem er Putin und Russland zu Verhandlungen zwingen will. Hoffnung ist wichtig, doch unrealistische Vorgehensweisen können dazu führen, dass die Ukraine komplett zerstört und besetzt wird. Statt eines hochtrabenden „Siegesplans“, den der Westen für Selenskyi umsetzen soll, wäre ein „Friedensplan“ in dieser Situation angemessener.

Es ist erstaunlich, dass niemand im Westen darauf zu bestehen scheint, die Lage in der Ukraine so einzuschätzen, wie sie wirklich ist. Dabei würde ein Blick auf die Landkarte und den Frontverlauf reichen, um festzustellen, dass ein „Sieg“ der Ukraine sehr unrealistisch ist – die Ukraine hat inzwischen 20 % ihres Territoriums an Russland verloren und die Besetzung einiger Dörfer in der Sumpfregion Kursk ist nicht etwa ein Element, mit dem man Putin zu Verhandlungen zwingen kann, sondern eine militärisch von vielen Experten kritisierte Aktion, die für die Ukraine mehr Belastung als Erfolg ist.

Man darf gespannt auf diesen „Siegesplan“ sein, der sehr wahrscheinlich vorsieht, dass der Milliarden-Fluß aus dem Westen nicht versiegt, dass jede Menge Waffen geliefert werden, dass die Ukraine sofort Mitglied der NATO und der EU wird und warum nicht, dass auch ausländische Soldaten in die Ukraine geschickt werden, um dort für die Ukraine den Showdown „Ost gegen West“ auszufechten. Entschieden werden die Forderungen Selenskyis von einer Handvoll westlicher Politiker, die ihrerseits nur noch einen Bruchteil ihrer Bevölkerungen darstellen. Sollte irgendjemandem etwas am Konzept der europäischen Demokratie liegen, dann sollten solche Fragen per Referendum entschieden werden, ebenso wie die nächsten EU-Erweiterungen, bei denen die Brüsseler Politiker weitere Länder in einen schon lange nicht mehr funktionierenden Staatenbund integrieren wollen. Wenn es schon mit 27 nicht klappt, dann kann es mit 32 auch nicht viel schlechter werden.

Doch zurück zum „Siegesplan“, auf den jetzt alle gespannt sind. Nach allen Ankündigungen muss man damit rechnen, dass dieser „Siegesplan“ den Umweg über den III. Weltkrieg vorsieht, denn die Vorstellung, dass Selenskyi den Kreml durch „Diplomatie, wirtschaftliche und militärische Maßnahmen“ zu Verhandlungen über einen „gerechten Frieden“ zwingen kann, ist abenteuerlich.

Auch verdrängt man im Westen gerne, dass dieser angestrebte III. Weltkrieg, in dem der Westen Russland bezwingen soll, nicht sehr erfolgversprechend ist. Denn hinter Russland stehen die BRICS-Staaten, die bereits heute und vor ihrer nächsten Erweiterung, die noch diesen Monat im russischen Kazan beim nächsten BRICS-Gipfel entschieden wird, knapp die Hälfte der Weltbevölkerung und 37 % des Welt-BIPs darstellen.

Doch unsere Politiker, die inzwischen nur noch sich selbst und ihre eigenen Interessen repräsentieren, haben mit der Idee von „Frieden“ nicht viel am Hut. Weiterhin wird tapfer behauptet, dass die Ukraine „europäische Werte“ verteidigen würde, ja gar Europa und auf Grundlage dieser kollektiven Selbsttäuschung werden Entscheidungen getroffen.

Nun werden wir in den nächsten Tagen erfahren, wie Selenskyi den russischen Bären besiegen will. Wenn er das könnte, hätte er vermutlich nicht zweieinhalb Jahre damit gewartet. Aber irgendwann ist der Zug für Verhandlungen endgültig abgefahren. Damit es soweit kommen konnte, brauchte es einen brutalen Diktator und einen Gegenspieler, der genauso wenig Probleme damit hat, seine Bevölkerung zu opfern wie Wladimir Putin. Insofern wird der „Siegesplan“ nichts enthalten, was die Welt dem Frieden auch nur ein Stück näher bringt. Aber Frieden ist heute ja ohnehin nichts Erstrebenswertes mehr…

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