Warum das Gerede vom „Freedom Day“ falsch ist

Alle haben die Nase gestrichen von der Pandemie voll. Doch kann man eine solche Pandemie nicht durch eine politische Entscheidung beenden – der Versuch ist sogar gefährlich.

Abstand, Maske und Barriere-Gesten - das muss heute die Ansage sein und nicht etwa das Geschwätz vom "Freedom Day". Foto: Kgbo / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Klar, am liebsten würde die Regierungen dieser Welt die seit fast zwei Jahren andauernde Pandemie per Dekret für beendet erklären, die sanitären Maßnahmen aufheben und den Menschen eine Rückkehr zum „normalen“ Leben ermöglichen. Andere Länder wie Großbritannien oder die Niederlande haben das bereits getan. Ergebnis – die Pandemie wütet erneut in diesen Ländern. Angesichts erneut explodierender Zahlen in Großbritannien fordern zahlreiche Politiker, die Entscheidungen zu revidieren und das Land erneut unter strikte sanitäre Maßnahmen zu stellen.

Natürlich möchte jeder Regierungschef, jeder Gesundheitsminister, jeder Präsident derjenige sein, der die Pandemie für besiegt erklären kann. Doch was es für einen Politiker bedeutet, diese Pandemie nicht Ernst zu nehmen, das erfährt gerade der brasilianische Präsident Bolsonaro, der sich nach einer Untersuchung rechtlichen Vorwürfen wie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ausgesetzt sieht, nachdem er zu Beginn der Pandemie diese kleingeredet und sich geweigert hatte, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Der Moment, die Pandemie für beendet zu erklären, ist einfach zu früh, angesichts der Tatsache, dass in den Ländern, die ihren „Freedom Day“ mit Abschaffung aller sanitären Vorschriften gefeiert haben, nun bereits in der „fünften Welle“ sind.

Langsam wird unerklärlich, warum die europäischen Länder so völlig unfähig und nicht gewillt sind, es einmal gemeinsam zu probieren, beispielsweise durch eine Harmonisierung der zu treffenden Maßnahmen und auch der entsprechenden Kommunikation. Während Länder wie Russland die höchsten Opferzahlen seit Beginn der Pandemie melden, heißt es in anderen Ländern „keinerlei sanitäre Maßnahmen mehr!“. Doch nach fast zwei Jahren könnten eigentlich auch die nationalen Regierungen begriffen haben, dass sie seit Beginn der Pandemie an lokalen Momentaufnahmen herumbasteln, die allesamt nicht ermöglichen, diese Pandemie wirksam zu bekämpfen.

Dazu verdichten sich die Berichte über neue Varianten, wir befinden uns am Anfang der kalten Jahreszeit und auch die vielen Versuche, beispielsweise über 2G- oder 3G-Systeme ein „sicheres“ Umfeld zu schaffen, zerplatzen wie Seifenblasen.

Es ist unglaublich, dass nach fast zwei Jahren der Erfahrung mit dieser Pandemie die europäischen Regierungen immer noch gegeneinander arbeiten statt miteinander. Wenn in einem Land sämtliche Maßnahmen eingestellt, im Nachbarland dafür aber verschärft werden, was soll das bitteschön bei der Bekämpfung einer weltweiten Pandemie für Ergebnisse bringen?

Immerhin, endlich sieht man die ersten Werbespots von Regierungen, die dazu aufrufen, weiterhin eine Maske zu tragen und Abstand zu halten, ob man nun geimpft ist oder nicht. Der individuelle Schutz durch die Einhaltung dieser Barriere-Gesten dürfte momentan das Einzige sein, was ein wenig zur Eindämmung der Verbreitung des Virus und seiner Varianten sorgen kann.

Der „Freedom Day“ wird noch eine ganze Weile auf sich warten lassen und diejenigen Politiker, die einen solchen Tag vollmundig in Aussicht stellen, gefährden die Gesundheit der Bevölkerung. Wir befinden uns momentan zwischen den „Wellen vier und fünf“ und für eine Entwarnung ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Das Minimum in ganz Europa sollte eine einheitliche Regel zum Tragen von Masken und das Einhalten eines sanitären Abstands sein. Somit könnte man endlich damit anfangen, diese Pandemie gemeinsam zu bekämpfen.

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