Warum der deutsch-französische Motor stottert…

… und wie man ihn wieder zum Laufen bringen kann…

Gerade in der aktuellen Krise müssen die deutsch-französischen Beziehungen wieder enger werden. Foto: PFAJ-Praktikant / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Europa erwartet viel vom „deutsch-französischen Motor“, doch der ist in letzter Zeit ins Stottern gekommen. Dahinter einfach eine nicht so tolle Chemie zwischen Angela Merkel und Emmanuel Macron zu vermuten, das wäre zu einfach. Denn Deutschland und Frankreich haben so grundlegend unterschiedliche Auffassungen des Konzepts „Staat“, dass Harmonisierungen schwer sind, das gegenseitige Unverständnis dafür aber groß. Schuld daran ist eigentlich niemand, denn die Unterschiede zwischen beiden Ländern begründen sich in der jeweiligen Geschichte und Entwicklung, aber auch in der gemeinsamen Geschichte der letzten 150 Jahre.

In Frankreich ist der Staat eine Art „Übervater“ und dementsprechend wird das Konzept „Macht“ zelebriert wie in kaum einem anderen Staat. Der Präsident ist der Regent, ausgestattet mit allen Insignien der Macht, die dem Volk an jeder sich bietenden Gelegenheit vor Augen geführt wird. In Deutschland ist das Konzept „Macht“ anders interpretiert: Die Regierungen sind eine Art ausführendes Organ des durch Wahlen manifestierten Bürgerwillens. Dabei spielt auch das Wahlsystem eine wichtige Rolle – während das französische (und britische…) System „First-past-the-post“, also das personenbezogene Mehrheitswahlrecht in der Praxis die gesamte Macht auf den jeweiligen Wahlsieger häuft und praktisch keine nennenswerte Opposition vorsieht, hat das proportionale Wahlrecht in Deutschland zu einer politischen Kultur des sachbezogenen Kompromisses und eines anderen Umgangs miteinander geführt.

Annegret Kramp-Karrenbauer wurde einmal auf ihr geradezu herzliches Verhältnis zu Oskar Lafontaine angesprochen und sagte: „Natürlich pflegen wir einen guten Umgang miteinander. Der politische Gegner von heute ist der Koalitionspartner von morgen und da ist es schon besser, wenn man einen respektvollen Umgang pflegt.“ Einen solchen Satz wird man von keinem französischen Politiker der V. Republik hören, denn hier ist der politische Gegner eher ein „Feind“. Und entsprechend ist der Umgangston.

Dazu kommt eine völlig unterschiedliche Auffassung der Wirtschaftssysteme. Der französische Neoliberalismus von Emmanuel Macron hat wenig mit dem deutschen Austeritäts-Liberalismus zu tun – beide Konzepte sind sehr schwierig unter einen Hut zu bringen. Im französischen Neoliberalismus ist die Intervention und Lenkungskompetenz des Staats sehr präsent, was man beispielsweise an der vom Staat angeregten „Jahresendprämie“ an die unteren Einkommensklassen deutlich wird. Emmanuel Macron hatte die Unternehmen zu einer solchen Zahlung aufgefordert und dafür steuerliche Vergünstigungen in Aussicht gestellt. Und die Mehrheit der Unternehmen schüttet diese Prämie tatsächlich aus. Eine mehr oder weniger freiwillige, staatlich angeregte Prämie? In Deutschland schwer vorstellbar. Aus diesen unterschiedlichen Auffassungen eine neue Wirtschaftsdoktrin für Europa zu entwickeln, erscheint fast unrealistisch.

Und wo wir es schon von den „Doktrinen“ haben – selbst in der Außen- und Sicherheitspolitik haben Deutschland und Frankreich völlig unterschiedliche Interessen. Während Frankreich ein starkes Engagement in den ehemaligen Kolonien in Afrika pflegt, inklusive massiver Militärpräsenz, richtet sich das deutsche Interesse eher auf die Region Zentral- und Osteuropas, was sowohl geographisch als auch historisch begründet ist. Zwar wurde nun vereinbart, dass sich Deutschland auch militärisch stärker in Afrika an der Seite Frankreichs engagieren wird, doch ist diese Zusage in Deutschland nur schwer der eigenen Bevölkerung zu verkaufen. Hieß es in den USA vor deren Eintritt in den II. Weltkrieg noch „Dying for Gdansk?“, dürften sich viele Deutsche die Frage stellen „Sterben für Bamako“? Einzig eine wirklich europäische Armee könnte diese Widersprüche in einen gemeinsamen Handlungsstrang verwandeln.

Gesellschaftlich sind die Unterschiede ebenfalls riesig. Alleine bei der Flüchtlingsfrage verwenden Deutsche und Franzosen zwar die gleichen Begriffe, meinen allerdings nicht dasselbe. Deutschland hat überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen, nicht etwa, weil Deutsche die besseren Menschen wären, sondern weil dies die erste Gelegenheit seit dem II. Weltkrieg war, der Welt zu zeigen, dass Deutschland nicht mehr Nazi-Deutschland ist. Ein Eindruck, der dann allerdings schnell von den Glatzen in Sachsen und anderswo zunichte gemacht wurde. In Frankreich war die Aufnahme von Flüchtlingen politisch eine schwierige Sache, denn der rechtsextreme Front National (der sich in „Rassemblement national“ umgetauft hat, aber immer noch der gleiche Verein ist) steht immer dichter an der Übernahme der Macht. Die Befürchtung des bürgerlichen Lagers war, dass eine zu offene Flüchtlingspolitik den Rechtsextremen noch mehr Wähler in die Arme treiben könnte. Also handhabt man diese Frage wesentlich restriktiver als in Deutschland.

Wenn man das alles liest (und die Liste der Inkompatibilitäten könnte noch lange weitergeführt werden), stellt sich die Frage nach dem „europäischen Motor“, den Berlin und Paris geben sollen. Unmöglich? Nein.

In den letzten Monaten und Jahren wurden zahlreiche Instrumente geschaffen, die nur darauf warten, richtig umgesetzt zu werden, damit beide Länder tatsächlich Europa mit neuem Leben behauchen können. Der Aachener Vertrag, der „Grenzüberschreitende Bericht“ des Vizepräsidenten der Nationalversammlung Sylvain Waserman, das neue Deutsch-Französische Parlament, selbst die Grundlagen der neuen „Collectivité Européenne d’Alsace“ – all diese Instrumente können, wenn sie denn richtig genutzt werden, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der europäischen Integration neue Impulse geben. Gestützt sollte dieser Ansatz durch die zahlreichen, gut funktionierenden deutsch-französischen Projekte werden, denn in diesen Projekten sitzen die Leute, die wissen, wie es geht.

Dabei dürfen beide Länder nicht vergessen, dass sie in der EU nicht alleine sind, sondern auch die Interessen der 25 weiteren EU-Mitgliedsstaaten berücksichtigen müssen. Die Realitäten in Europa sind klar – ohne Deutschland und Frankreich geht nicht viel, denn die beiden größten Volkswirtschaften in Europa haben eine wesentlich größere wirtschaftliche und politische Power als die anderen EU-Mitgliedsstaaten. Doch will man die „europäischen Werte“ nicht vollständig über Bord werfen, dann müssen Paris und Berlin die europäischen Partner permanent im Boot behalten.

Europa befindet sich in einer tiefen Krise und die Nominierungen für die europäischen Spitzenpositionen sind nicht gerade ermutigend, dass sich Europa etwas zum Besseren wenden könnte. Doch statt zu jammern, sollte man lieber die Ärmel hochkrempeln, genau durchlesen, was die vier genannten Instrumente an Möglichkeiten bieten und diese konsequent umsetzen. Dann klappt’s auch mit Europa!

2 Kommentare zu Warum der deutsch-französische Motor stottert…

  1. Nach der Mauschelei mit dem Kommissionspräsidenten, wesentlich ausgelöst durch Macron, ist für mich jetzt klar, dass man dieses Europa besser sein lassen sollte. Vorschlag: Soll der seine Macht zelebrieren. Wir gehen unseren Weg des Konsens weiter und schauen mal in ein paar Jahren, nach Akt 146, was von dem Laden drüben noch steht.

    • Eurojournalist(e) // 4. Juli 2019 um 18:13 // Antworten

      Ich verstehe diese Haltung, denn das, was da gerade abgezogen wird, hat mit Demokratie oder einem wie auch immer gearteten “Projekt Europa” nichts mehr zu tun. Doch auch, wenn ich diese Haltung verstehe, teile ich sie nicht. Ich glaube, die “europäische Revolution” wird “von unten” kommen, durch die zahlreichen europäischen Projekte der Zivilgesellschaft, die mehr und mehr das tut, was eigentlich von politischer Seite initiiert werden sollte. Meiner Ansicht nach muss Europa nicht abgeschafft, sondern komplett neu erfunden werden.

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