Warum die Auschwitz-Prozesse heute noch so wichtig sind

Gestern begann in Neubrandenburg der Prozess gegen Hubert Zafke, einen Krankenpfleger, dem vorgeworfen wird, in Auschwitz an der Ermordung von mindestens 3681 Männern, Frauen und Kindern beteiligt gewesen zu sein.

Die letzten Auschwitz-Prozesse müssen stattfinden. Alleine schon aus Respekt vor den Opfern. Foto: (c) C.Puiskew / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Der Mann ist 95 Jahre alt. Und diesem Greis wird vorgeworfen, im Jahr 1944 an der Ermordung von mindestens 3681 Männern, Frauen und Kindern mitgewirkt zu haben. Zwar ist noch nicht ganz klar, ob der Prozess gegen diesen alten Mann aufgrund seines Gesundheitszustandes überhaupt stattfinden und bis zum Ende geführt werden kann, doch schon steht die Frage im Raum, ob man nach so vielen Jahren den alten Mann nicht einfach in Ruhe lassen kann. Und die Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges „Nein“.

Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, einen solchen Prozess gegen einen Greis tatsächlich durchzuführen. Der erste Grund ist juristischer Natur – es handelt sich um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, um eines dieser wenigen Verbrechen, für das der Gesetzgeber ganz bewusst keine Verjährungsfrist festgelegt hat. Das alleine würde als Begründung für diesen Prozess bereits ausreichen. Doch es gibt auch noch weitere Gründe.

Einer der historischen Gründe ist es, dass in die Zeit, in der Hubert Zafke in Auschwitz war, auch die Ankunft des Zugs fiel, in dem eine gewisse Anne Frank saß, ein jüdisches Mädchen, das durch sein ergreifendes Tagebuch zu traurigem Weltruhm kam und dessen Schicksal als Symbol für Abertausende von den Nazis ermordete Kinder steht. Nicht umsonst gibt es heute überall Schulen, die den Namen von Anne Frank tragen und es geht auch darum, diesem Mädchen späte Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Es kann und darf nicht sein, dass diejenigen, die eine 14Jährige ermordeten und selbst das biblische Alter von 95 Jahren erreichten, mit einem „Schwamm drüber, das ist alles lange her“ davon kommen.

Und es gibt auch einen politischen Grund dafür, dass dieser Prozess stattfinden muss. Denn wir leben heute in einer Zeit, in der wieder Minderheiten vom Mob der Straße angegriffen werden, in der Flüchtlingsheime wie in Zeiten der Nazi-Pogrome brennen, in denen braunes Gedankengut plötzlich wieder hof- und parlamentsfähig wird, in denen die verschiedenen Zutaten wieder beisammen sind, aus denen die totalitäre Suppe gekocht wird, die unseren Kontinent schon wiederholt ins Unglück gestürzt hat. Die Aufarbeitung dessen, was in Auschwitz passierte, die Bestrafung der Täter und die Analyse, was Faschismus ist und was er anrichten kann, ist eine politisch-gesellschaftliche Pflicht der Justiz. Der Hinweis auf das Alter des Angeklagten darf dabei keine Rolle spielen.

Mitleid mit dem Angeklagten ist fehl am Platz. Der Mann war Mitglied der Waffen-SS, hatte sich also freiwillig für die schlimmsten Aufgaben gemeldet, die von den Nazis vergeben wurden. Als Mitglied der Waffen-SS ist es praktisch unmöglich, sich auf Mitläufertum oder Befehlsnotstand zu berufen. Man wurde nicht zwangsweise in die Waffen-SS verpflichtet, sondern meldete sich freiwillig.

Für die aktuellen Generationen, speziell im Osten der Republik, wo das neubraune Gedankengut seine triste Hochburg hat, ist dieser Prozess wichtig. Schon bald wird es weder lebende Opfer noch Täter mehr geben und dann wird es auch kaum noch möglich sein, „Auschwitz“ juristisch und moralisch weiter aufzuarbeiten. Ein „Schwamm drüber“ würde einer zweiten Ermordung der Opfer gleichkommen.

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