Warum feuert Queen Elisabeth II nicht einfach Boris Johnson?

Die Rolle des britischen Souveräns ist relativ unklar – einerseits greift er (oder sie) nicht ins politische Tagesgeschäft ein, andererseits kann er es aber doch, falls eine konstitutionelle Krise droht.

Von dieser Flagge könnte die Queen einige Streifen verlieren... Foto: Zscout370 / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Boris Johnson ist gerade dabei, die britische Demokratie ad absurdum zu führen und stellt mit seinem Vorgehen eine massive Gefahr für die Zukunft des Vereinten Königreichs dar – da stellen sich viele die Frage, warum die Queen als oberster Boss des Landes nicht die Reißleine zieht. Unter bestimmten Umständen wäre das sogar möglich, doch sind die eher theoretischer Natur und – Boris Johnson’s Zeitplan beraubt die Queen faktisch sogar dieser Möglichkeit.

Das letzte Mal, dass sich ein britischer Souverän weigerte, einen Parlamentsbeschluss gegenzuzeichnen (was er gemeinsam mit seinem Kronrat [Privy Council] machen muss, damit beispielsweise ein neues Gesetz in Kraft treten kann), passierte im Jahr 1708 unter Queen Anne. Das letzte Mal, dass ein britischer Souverän das Parlament auflöste, war unter King William IV. Im Jahr 1831. Ein solches Eingreifen in die Politik des Landes, die seit dem ausgehenden Mittelalter von Ober- und Unterhaus geführt wird, ist extrem selten und heute kaum noch vorstellbar. Dennoch wäre es theoretisch auch in der aktuellen Situation möglich, wäre die Queen der (absolut richtigen) Ansicht, dass dem Land eine konstitutionelle Krise droht – doch im vorliegenden Fall Brexit / Boris Johnson hätte die Queen gar nicht mehr die Zeit dazu, wollte sie denn die Einheit ihres Landes retten und zumindest den „Hard Brexit“ verhindern.

Denn um Boris Johnson den Stuhl vor die Downing Street 10 zu stellen, müsste zunächst das Unterhaus dem Regierungschef durch eine Vertrauensfrage eben dieses Vertrauen entziehen. Sollte Boris Johnson dann nicht innerhalb von zwei Wochen zurückgetreten sein, dann, und erst dann, könnte ihn Queen Elisabeth II absetzen und auch nur dann, wenn sie gleichzeitig einen neuen Regierungschef ernennt, der das Vertrauen der Mehrheit des Unterhauses haben müsste.Alles in allem ein Prozess, der mehrere Wochen in Anspruch nehmen würde und auf keinen Fall vor dem Brexit-Datum am 31. Oktober abgeschlossen wäre.

Aber warum hat die Queen dann gestern mit ihrem Kronrat dem Antrag von Boris Johnson zugestimmt, das Parlament vom 9. September bis zum 14. Oktober auszusperren? Der Grund dafür ist einfach – sie wollte verhindern, selbst in einem in der Geschichte Großbritanniens einzigartigen Vorgang eine Verfassungskrise auszulösen und das Land in ein unüberschaubares politisches Chaos zu stürzen. Nur, dadurch, dass sie dies nicht tut, lässt sie Boris Johnson genau dies tun.

Der notorische Lügner Boris Johnson hat seinen Coup zur Zerstörung des Vereinten Königreichs erstaunlich gut vorbereitet und durch seinen Zeitplan dafür gesorgt, dass selbst ein höchst unwahrscheinliches Eingreifen der Queen seinen „Hard Brexit-Plan“ nicht verhindern kann.

Und nun? Vergessen wir die Queen. Die Aussperrung des House of Commons und der britischen Demokratie beginnt am 14. September, aber das britische Parlament tritt bereits am 3. September zu seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammen. Dies ist die letzte Gelegenheit für die britische Demokratie, sich selbst zu retten. An diesem Wochenende müssen sich die Demokraten aller im Unterhaus vertretenen Parteien zusammenraufen und auf ein Misstrauensvotum gegen Boris Johnson in der kommenden Woche verständigen. Auch das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, denn eine ausreichende Anzahl Abgeordneter der Regierungspartei der Tories muss überzeugt werden, für das Ende der eigenen Regierung zu stimmen, was ebenfalls ein bisher in Großbritannien ein Novum wäre.

Und selbst dann wird es knapp, denn durch die „Prorogation“, die Aussperrung des Parlaments, würde die zweiwöchige Frist für den Rücktritt von Boris Johnson in die Zeit der Aussperrung fallen und nach dem Ende der „Prorogation“ am 14. Oktober noch einige Tage weiterlaufen. Sollte sich Johnson dann weigern zurückzutreten, müsste sich das Parlament danach, also wenige Tage vor Ablauf der Brexit-Frist, auf einen neuen Regierungschef verständigen – was angesichts der Erfahrungen der letzten drei Jahre ebenfalls wenig wahrscheinlich erscheint. Erst dann könnte die Queen, falls sie sich zu diesem Präzedenzfall durchringen könnte, Boris Johnson entlassen und durch den neuen Regierungschef ersetzen. Doch bis dahin wäre der „Hard Brexit“ bereits in Kraft.

Die tatsächlichen Rechte der Queen beschränken sich auf so seltsame Dinge wie das ihr erlaubte Fahren ohne Führerschein, oder das Besitzrecht an allen „unmarkierten Schwänen“ im Königreich oder das an allen Walen und Stören in britischen Hoheitsgewässern, auf das Recht, Ehrungen und Adelstitel zu verleihen und das war es dann auch schon mehr oder weniger. Queen Elisabeth II wird tatenlos zusehen müssen, wie eine Bande Politik-Hasardeure das Vereinte Königreich entzweit, den Konflikt in Irland wieder anfacht, Schottland aus dem Königreich hinaus und die die Arme der EU hineintreibt und gleichzeitig die Wirtschaft Großbritanniens auf Jahrzehnte hinaus ins Elend stürzt.

Noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Man darf davon ausgehen, dass wenn Boris Johnson tatsächlich nächste Woche vom Parlament gestürzt wird, die EU die Frist für den Brexit noch einmal verlängern könnte. Sollten die Tories den Mann aber doch in der Regierung halten, hat die EU keinerlei Grund mehr, dieses Theater über den 31. Oktober hinaus mitzumachen. Und dann findet er statt, der „harte Brexit“.

Vielleicht sollten die Neonationalisten in anderen Ländern, die ebenfalls nach dem Austritt ihrer Länder aus der EU krähen, einmal genau hinschauen, was da gerade in Großbritannien passiert. Dort wird eine frühere Weltmacht in ihre Einzelteile zerlegt, die Wirtschaft zerstört, die Bevölkerung in Armut getrieben, um die persönlichen Ambitionen halbwahnsinniger Politiker zu befriedigen. Wer so etwas in seinem Land nachmachen möchte, ist nicht viel schlauer als die Johnsons, Farages, Mays und wie diese Landesverräter alle heißen mögen. Dass so etwas in Europa im Jahr 2019 passieren kann, ist unglaublich.

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