Warum heute in Frankreich Feiertag ist…

… wie in vielen anderen Ländern auch. Nicht aber in Deutschland. Und dieses peinliche Schweigen erlaubt einen dumpfen Revisionismus. Am 11. November 1918 endete der I. Weltkrieg.

Auf dem Hartmannwillerkopf im Oberelsass sieht man, wohin Kriege führen - unter jedem Kreuz liegt ein junger Franzose oder Deutscher. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Niemand hatte 1914 geglaubt, dass der I. Weltkrieg vier Jahre lang dauern und Abermillionen Menschenleben kosten würde. Das tat er aber. Noch heute wird das Ende des I. Weltkriegs in Deutschland mit einer „Niederlage“ gleichgesetzt, als ob es in einem Krieg jemals „Gewinner“ gegeben hätte. Und da man Gedenktage wie diesen in Deutschland am liebsten verschweigt, entsteht ein unglaublicher Revisionismus, der selbst die Frage, wer für diesen Krieg verantwortlich war, historisch verzerrt. Und wie jedes Jahr fordern wir auch in diesem Jahr, dass man sich in Deutschland endlich entscheidet, den 11. November und den 8. Mai (Ende des II. Weltkriegs) als „Friedenstage“ zu begehen. Aber das kriegt man in Deutschland leider nicht hin.

Die historische Deutung von Tagen wie dem heutigen 11. November und dem 8. Mai nationalistischen Revisionisten zu überlassen, ist gefährlich. Denn eines ist klar – beide Weltkriege wurden von Deutschland losgetreten. Es lohnt sich, die Entwicklung zu analysieren, die zu diesen globalen Katastrophen geführt hat, denn das historische Verständnis ist die Grundlage dafür, dass man vergleichbare Entwicklungen rechtzeitig erkennt und verhindert, dass sich die Geschichte wiederholt. Dass wir im Jahr 2021 in einer Zeit leben, in der alle Alarmglocken klingeln, scheinen viele noch nicht mitbekommen zu haben. Da würde ein Gedenktag am 11. November helfen, vor allem, wenn man ihn in den Schulen dazu nutzen würde, den kommenden Generationen die Mechanismen von Tyrannei, Totalitarismus und Krieg zu erklären. In anderen Ländern tut man genau das. In Deutschland nicht.

Die Revisionisten, die heute behaupten, dass „Deutschland in den I. Weltkrieg hineingezogen worden sei“, verfälschen die Geschichte. - Natürlich war der Ausgangspunkt die Ermordung des österreischischen Thronfolgers in Sarajewo, natürlich erfüllte Deutschland ein Beistandsabkommen mit dem alpinen Nachbarn, aber man darf nicht vergessen, dass sich Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits in einer massiven Aufrüstungsphase befand und Kaiser Wilhelm II. ganz besonders erpicht darauf war, die britische Vorherrschaft auf den Weltmeeren zu brechen. Deutschland war bereits in Vorkriegs-Stimmung und stürzte sich begeistert und in nationalem Überschwang auf die Gelegenheit, in den Krieg zu ziehen.

Gefördert werden solche Entwicklungen, und das ist eine Parallele zum II. Weltkrieg, von industriellen Interessen. Die Industrie blüht in solchen Phasen auf. Die deutsche Rüstungsindustrie explodierte förmlich im I. Weltkrieg und verkaufte munter Waffen und Munition an alle kriegsführenden Parteien. Doch die Rechnung für die Kriege der Mächtigen zahlen immer die Zivilbevölkerungen, die zu diesen Gelegenheiten in Uniformen gepresst und als Kanonenfutter verheizt werden.

Welchen Grund sollten 20jährige Deutsche, Franzosen, Briten, Amerikaner oder Russen haben, sich gegenseitig derart zu hassen, dass sie sich gegenseitig umbringen wollen? Und doch ist es genau das, was in diesen Kriegen passiert.

Ein beeindruckendes Beispiel für dieses sinnlose Abschlachten der Jugend der Völker ist der Hartmannwillerkopf in Oberelsass, in der Nähe von Cernay und Wattwiller. Auf diesem Berg starben im I. Weltkrieg rund 30.000 junge Franzosen und Deutsche und der Besuch des dort entstandenen „Historials“ lohnt sich. Auf dem Berg wurden auch die damaligen Schützengräben konserviert und liegen teilweise nur wenige Meter voneinander entfernt. Die Besucher erfahren die bedrückende Situation, in der sich die Jugend beider Länder unter fürchterlichen Bedingungen gegenüber stand, wie man in einem Schützengraben hören konnte, was im gegenüberliegenden Schützengraben gesprochen wurde, in eisiger Winterkälte in vor Nässe starren Filzuniformen, jeden Moment den Tod vor Augen.

Jedes Jahr wiederholen die politisch Verantwortlichen das Mantra „Nie wieder Krieg!“ und setzen gleichzeitig alles daran, dass es wieder zu Krieg kommen wird. Die internationale Solidarität besteht leider nur auf dem Papier und wenn man momentan sieht, dass die europäische Politik sogar unfähig ist, eine gemeinsame Bedrohung wie die aktuelle Pandemie auch gemeinsam zu bekämpfen, dann versteht man, dass sich seit 1918 nicht viel geändert hat.

Deutschland sollte schleunigst die Gedenktage des 11. November und des 8. Mai würdig begehen. Diese Tage markieren nicht etwa „Niederlagen“, sondern den Sieg des Friedens über den Wahnsinn des Kriegs, des Totalitarismus und der Ermordung der Völker. Daran sollte man erinnern und gemeinsam mit den nachfolgenden Generationen überlegen, wie man das Ruder herumreissen und die Welt in friedlicheres Fahrwasser führen kann. Denn ansonsten bleiben Sätze wie „Nie wieder Krieg“ sinnentleerte Worthülsen.

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