Was ist eigentlich eine Grenze?

… und warum sollten die Grenzen offen bleiben? Oder auch geschlossen werden? Zu dieser Frage vermischen sich Themen, Gefühle, Ressentiments und Hoffnungen. Da sollte man einmal genauer hinschauen.

Was nützt eine "offene" Grenze, die sich den Menschen so präsentiert? Foto: Viviane Philippe / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Diskussionen schlagen hohe Wellen – ist nun die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich geschlossen oder offen? Die entsprechenden Verordnungen sind teilweise unklar, teilweise unvollständig und teilweise sogar widersprüchlich. Doch sollte man kurz überlegen, was eine Grenze überhaupt ist. Denn je nach Definition, kann eine Grenze etwas Trennendes, doch andererseits sogar etwas Verbindendes sein.

Der Duden gibt zum Thema „Grenze“ vier Definitionen. A) Durch entsprechende Markierungen gekennzeichneter Geländestreifen, der politische Gebilde (Länder, Staaten) voneinander trennt. B) Trennungslinie zwischen Gebieten, die im Besitz verschiedener Eigentümer sind oder sich durch natürliche Eigenschaften voneinander abgrenzen. C) Nur gedachte Trennungslinie unterschiedlicher, gegensätzlicher Bereiche und Erscheinungen o. Ä.. Und D) Begrenzung, Abschluss[linie], Schranke.

Die beiden ersten Definitionen A und B kann man durchaus zusammen betrachten. Denn beiden haben etwas Trennendes, da sie darauf abzielen, den Übergang von der einen auf die andere Seite zu kontrollieren, zu erschweren und unter Umständen sogar zu verhindern. Nach dieser Definition A handeln momentan die meisten Regierungen und seit dieser Woche auch die EU – wobei die Möglichkeit der Grenzschließung in diesem Zusammenhang sehr kritisch zu betrachten ist, gilt sie doch nur für das „einfache Volk“, nicht aber für den Verkehr von Waren, Arbeitskräften, Geschäftsleuten und Offiziellen. Um solche Situationen zu vermeiden, wurde der Schengen-Raum ins Leben gerufen. Doch seit geraumer Zeit wird an den Grundfesten von Schengen gerüttelt. Der Nationalismus, befeuert von den Unsicherheiten und Ängsten der Covid-Krise, tut ein Übriges. Die Trennung der Völker Europas durch Grenzen kommt wieder in Mode und stellt eine massive Gefährdung des europäischen Gedankens dar.

Die beiden letzten Definitionen C und D könnte man dagegen neutraler betrachten. Diese Grenzen haben eher einen informativen Charakter, zielen darauf ab, auf bestimmte Dinge hinzuweisen, ohne unbedingt ein trennendes Element zu beinhalten. Aber was hat das mit der aktuellen Situation an der deutsch-französischen Grenze zu tun?

Eine ganze Menge. Denn die Definition von Gebieten und Zonen, die wir gerade im Rahmen der Covid-Krise erleben, zieht jede Menge Grenzen, die aber nicht alle unbedingt eine schlechte Sache sein müssen. So regte sich in Frankreich niemand im März auf, als Reisen über die Grenzen der französischen Regionen hinaus verboten wurden. Jeder verstand, dass diese Maßnahme dazu diente, die Zirkulation zwischen verschieden stark von der Pandemie betroffenen Gegenden zu reduzieren. Auch, wenn jede Einschränkung der Bewegungsfreiheit als ärgerlich und Einschnitt in die persönlichen Freiheiten empfunden wird, so war diese Maßnahme kein Skandal, weil sie auch entsprechend erklärt wurde. Temporär soziale Kontakte zwischen Regionen mit hoher und geringerer Inzidenz zu reduzieren, kann kein Fehler sein. Insofern war die virtuelle Schließung einer inländischen Grenze alles andere als ein Skandal. Und in Deutschland ist es vergleichbar – nicht nur, dass 16 Länder alle mit ihrer eigenen Anti-Covid-Strategie unterwegs sind, deren Gültigkeit an den jeweiligen und zahlreichen inländischen Grenzen zwischen den Bundesländern endet, dazu kommen inzwischen auch geographisch begrenzte Sondermaßnahmen in besonders stark betroffenen Bundesländern oder sogar Landkreisen. Grenzen über Grenzen. Grenzen, die von allen als eine rein administrative Definition eines Gebiets verstanden werden.  Da jeder diese Definition versteht, hat sich auch weder in Frankreich, noch in Deutschland, jemand sonderlich über diese temporäre Schließung von inländischen Grenzen aufgeregt.

Zwischen Deutschland und Frankreich ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit seit einem Jahr praktisch zum Erliegen gekommen, da die Covid-Krise eben weder Treffen, noch private Projektsitzungen, noch gemeinsame Veranstaltungen erlaubt. Insofern stellt sich die Frage, was wir eigentlich verlieren, sollte die bereits von der Politik erwähnte Eventualität eintreten und die Nachbarregionen Elsass und Baden-Württemberg sehr unterschiedliche Inzidenzen aufweisen und daher die Grenze vorübergehend geschlossen würde? Wie immer würden in diesem Fall diejenigen Grenzübertritte, die von den Verwaltungen als „unverzichtbar“ betrachtet würden, weiterhin erlaubt bleiben. Es würde sich also faktisch, außer der unerfreulichen Symbolik, nicht viel ändern.

Am Ende des Tages ist es eine Güterabwägung. Was ist momentan wichtiger? Das Aufrechterhalten einer europäischen Realität, die momentan nicht viel mehr als eine Illusion ist oder der pragmatische Schutz der Bevölkerung vor potentiell ansteckenden Kontakten, wie es ja ohnehin schon an den inländischen Grenzen praktiziert wird? Man kann diese Frage betrachten und beantworten, wie man will, es ist klar, dass es hier unterschiedliche Betrachtungsweisen gibt, für die es jeweils gute Argumente gibt. Aber eben auch Argumente dagegen.

Wenn man es nüchtern betrachtet, wird es so etwas wie ein grenzüberschreitendes Leben wohl erst wieder dann geben, wenn wir einen Umgang mit der Pandemie gefunden oder diese gar besiegt haben. Doch bis es so weit ist, und das könnte noch eine ganze Weile dauern, sollte man diese Grenze vielleicht etwas pragmatischer betrachten, wie etwa die „Grenze“ zwischen den Departements Bas-Rhin und Haut-Rhin oder zwischen den Regionen Grand Est und Île-de-France. Die Öffnung aller Schengen-Grenzen und die ungehinderte Personenfreizügigkeit werden erst dann wieder eine Rolle spielen, wenn man wieder frei seinen beruflichen und privaten Tätigkeiten im Nachbarland nachgehen kann. Bis dies der Fall ist, ist die Diskussion um die Öffnung oder Schließung der Grenze eher symbolischer Natur. Denn was nützt eine „offene“ Grenze, wenn man auf der anderen Seite nichts tun darf?

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