Was machen wir jetzt nur mit unseren Helden?
Vor drei Tagen gedachten wir der Ermordung der Geschwister Scholl und gleichzeitig der anderen hingerichteten Mitglieder der „Weißen Rose“. Aber wären diese Kämpfer für den Frieden heute immer noch Helden?
(KL) – Vor 80 Jahren wurden die Geschwister Hans und Sophie Scholl und zahlreiche weitere Mitglieder ihrer Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Es gab Tausende weiterer Widerstandskämpfer, wie Dietrich Bonhoeffer oder Carl von Ossietzky, die für ihre Anti-Kriegs- und Anti-Faschismus-Haltung im KZ mit dem Leben bezahlten. Bedenklich ist, dass die grundlegend pazifistische Einstellung dieser Menschen heute dazu führen würde, dass man sie als „Putin-Versteher“ oder sonstwie beleidigen würde. Denn heute sind nicht mehr die Pazifisten die „Helden“, sondern die Kriegsherren. Und wer da nicht mitmacht, der bekommt das schnell zu hören.
Vor einigen Tagen kritisierte ein Leser von Eurojournalist(e) unsere, wie er es ausdrückte, „Anti-Kriegs-Propaganda“. Offensichtlich wollte er damit Eurojournalist(e) beleidigen, doch fällt es schwer, den Begriff „Anti-Kriegs-Propaganda“ als Beleidigung aufzufassen, denn die Kritik an der vermeintlichen „Anti-Kriegs-Propaganda“ bedeutet ja, dass dieser Leser eher „Kriegs-Propaganda“ bevorzugt, wie sie seit einem Jahr von beiden Seiten auf uns hereinprasselt.
Aber was hätten die Geschwister Scholl, die Von Ossietzky, Niemöller oder Bonhoeffer heute in ihre Flugblätter geschrieben und in ihren Predigten gesagt? Dass der Krieg mit Hunderttausenden Opfern bis zum Endsieg geführt werden soll? Dass Verhandlungen und das Streben nach Frieden nur etwas für Weicheier ist? Dass das Sterben im Krieg süß und ehrenvoll ist? Hätte man „unsere Helden“ am Ende auch in die rechts- oder linksextreme Ecke gedrängt und dazu aufgerufen, diesen Wirrköpfen kein Gehör zu schenken?
Die chinesische Aufforderung an Russland und die Ukraine, man möge die Waffen niederlegen und den Krieg auf dem Verhandlungsweg lösen, wird im Westen ohne weitere Prüfung als „Kriegslist“ abgetan, wobei es niemanden aufzufallen scheint, dass ein derartiger Vorschlag bislang noch nicht aus dem Westen gekommen ist. Doch heutzutage wird nur noch Schwarz-Weiß gedacht – wer „Frieden“ sagt, wird als „Putin-Freund“ abgestempelt. Wolodomyr Zelensky ist zu einer Art Heiligem erhoben worden, der im Westen geradezu vergöttert wird. Ihn zu kritisieren, das ist schon eine Art Blasphemie, die heute überhaupt nicht mehr geht. Dass man Putin und seinen Angriffskrieg verachten kann, ohne dabei Fan der höchst undurchsichtigen Person von Zelensky zu sein, passt nicht in die aktuelle Stimmung, in der die westlichen Politiker vor allem eines umtreibt – die zu verhindernde „Kriegsmüdigkeit“.
Als im Mai 1940 die deutsche Wehrmacht Belgien, Holland und Frankreich überfiel, entschieden sich die in diesen Ländern Verantwortlichen, den Nazi-Horden nicht ihre Bevölkerungen zu opfern, sondern angesichts der militärischen Übermacht der Nazi-Truppen zu kapitulieren und auf bessere Zeiten zu hoffen (die dann fünf Jahre später auch kamen). Ähnlich verhielt es sich in der Tschechoslowakei, wo sich Alexander Dubcek weigerte, beim russischen Einmarsch 1968 sein Volk in einem sinnlosen Krieg zu opfern. Waren die Verantwortlichen dieser Länder „Weicheier“, weil sie das Leben ihrer Bevölkerungen geschützt und nicht geopfert haben?
In fast allen Städten, Dörfern und Gemeinden Europas stehen Denkmäler, die Inschriften wie „Unseren gefallenen Helden“ oder „Nie wieder Krieg“ tragen. Seit 80 Jahren begehen wir Tage wie den 8. Mai oder den 11. November und versichern uns gegenseitig, dass so etwas nie wieder passieren darf. Heute ist es wieder so weit und genau wie 1914 und 1939 lassen wir uns überzeugen, dass dieser Krieg „alternativlos“ sei.
Es gibt in Deutschland zahllose Schulen, Kindergärten, Kulturzentren, die den Namen eines oder mehrerer Widerstandskämpfer, also von Kämpfern für den Frieden tragen. Was machen wir jetzt also mit unseren Helden? Sie totschweigen, bis dieser Krieg „auf dem Schlachtfeld entschieden“ wurde? Die Kämpfer für den Frieden, die es sogar unter den Nazis gab, würden sich heute im Grab umdrehen, würden sie hören, dass man dringend gegen die „Kriegsmüdigkeit“ vorgehen muss.
Ihr Artikel ist aus meiner Sicht irreführend. In den 30ern des letzten Jahrhunderts hatte in den westlichen Demokratien bis zuletzt die Pazifisten das Sagen und das Ergebnis lautete: 1936 Remilitarisierung des Rheinlands ohne Widerstand aus F oder GB und 1938 Münchner Abkommen und was danach folgte ist mittlerweile bekannt. Auch Dubcek hatte 1968 keine andere Wahl als nachzugeben, weil die Tchechoslowakei nie auf westliche Unterstützung rechnen konnte. Übrigens, um die russische Aggression zu stoppen war die Ukraine vor einem Jahr für sehr weitreichende Konzessionen bereit. Auch hier kennt man mittlerweile das Ergebnis.
Zugegeben, der Artikel ist historisch diskussionswürdig. Es war nur höchst seltsam, in dieser Woche den Jahrestag der Ermordung von Friedens-Aktivisten zu begehen, während heute gleichzeitig Friedens-Aktivisten als “5. Kolonne” und “Putin-Versteher” diffamiert werden. Die Veränderungen an uns selbst sind schleichend und viele bekommen sie gar nicht mehr mit. So ist es erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit wir heute Sätze wie “Der Sieg muss auf dem Schlachtfeld errungen werden”, nachdem wir fast 80 Jahre lang Begriffe wie “Schlachtfeld” überhaupt nicht mehr in unserem Wortschatz hatten. Für die historischen Unschärfen dieses Artikels entschuldige ich mich, da haben Sie völlig Recht, doch die Frage bleibt – würden die Geschwister Scholl, die Bonhoeffer oder die Von Ossietzky heute Flugblätter schreiben oder Predigten halten, in denen sie Sätze wie “Der Sieg muss auf dem Schlachtfeld errungen werden” verbreiten?
Herr Littmann, der Leser beleidigt nicht sondern hält Ihnen nur einen Spiegel vor. Es ist sinnlos ihre Berichte weiter zu verfolgen. Schade drum.