Was Sie schon immer zum Thema „Schlichtung & Co.“ wissen wollten… (20)

Heute: Interview mit Dr. Christof Berlin, Leiter der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr .

Die "söp" stemmt während der Pandemie ein deutlich höheres Fallaufkommen... Foto: soep-online.de

(KL) – Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. – abgekürzt söp – ist auf zahlreiche Facetten des Reisebereichs spezialisiert und war 2020 die Verbraucherschlichtungsstelle mit den meisten Anträgen überhaupt. 2009 wurde sie in Berlin eingerichtet. Damit gibt es sie schon mehr als doppelt so lang wie das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, das zu Beginn dieses Monats fünften Geburtstag feiern konnte. Interview.

Herr Dr. Berlin, die söp ist eine Verbraucherschlichtungsstelle, die, wie der Name verrät, auf öffentlichen Personenverkehr spezialisiert ist. Was machen Sie alles? Und was sind die Vorteile von Spezialisierung?

Christof Berlin: Die söp schlichtet im Bereich öffentlicher Personenverkehr und Pauschalreisen – Bahn, Bus, Flug, Schiff sowie zunehmend auch Online-Reisevermittler und Pauschalreisen. Die Konzentration auf die Verkehrs- und Reisebranche ermöglicht ein hohes Maß an fachlicher Spezialisierung – beispielsweise haben wir rund 20 Volljurist:innen, die ausschließlich zu Fluggastrechten arbeiten. Aber auch im übrigen Team gibt es viele Spezialist:innen – sei es für die Besonderheiten von Buchungssystemen, für regionale Tarifbedingungen im ÖPNV, für Visumsfragen bei Fernreisen oder für die neuesten Entwicklungen im Reiserecht. Fachlich sind wir dadurch auf Augenhöhe mit den Unternehmen und werden von diesen in unserer Expertise sehr ernst genommen. Ein weiterer Vorteil der Spezialisierung sind die Effizienzgewinne bei der Bearbeitung ähnlich gelagerter Schlichtungsanträge.

Und da, wo Sie nicht zuständig sind – begrüßen Sie, dass es seit fünf Jahren eine Auffangschlichtung gibt?

CB: Die Auffangschlichtung ist eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der branchenspezifischen Verbraucherschlichtung, um ein möglichst lückenloses Schlichtungsangebot zu schaffen. Die Zusammenarbeit mit der Universalschlichtungsstelle des Bundes in Kehl und der wechselseitige Verweis bei fehlender Zuständigkeit funktioniert hervorragend.

Die söp hatte 2020 einen absoluten Rekord an Falleingängen – im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Schlichtungsanträge um 58 % auf über 41.000. Woher kam das? Und: Sind solche Schwankungen bei den Eingangszahlen nicht eine sehr große Herausforderung?

CB: Viele Schlichtungsanträge waren pandemiebedingt: Einreisebeschränkungen, Reisewarnungen, gesundheitliche Sorgen oder auch wirtschaftliche Probleme führten dazu, dass viele Reisen abgesagt wurden. Steigende Fallzahlen kennen wir zwar bereits aus der Vergangenheit. 2020 gab es jedoch Monate, in denen drei Mal so viele Fälle wie sonst üblich bei uns eingingen. Das war in der Tat herausfordernd, denn wir wollen auch bei hohem Falleingang für die Reisenden gut erreichbar sein und vor allem zügig schlichten. Dabei war und ist es hilfreich, dass wir unsere Prozesse in den vergangenen Jahren vollständig digitalisiert haben.

Dies erleichtert nicht nur die effiziente und präzise Bearbeitung großer Fallvolumina, sondern hat auch einen fast reibungslosen Übergang ins Homeoffice ermöglicht.

Auf der Website der söp habe ich unter dem Stichwort Qualitätssicherung gelesen: “Eine erfolgreiche Schlichtung setzt nach unserem Verständnis dreierlei voraus: Präzision, Empathie und Effizienz”. Klingt gut – aber was steckt genau dahinter?

CB: Wir verstehen Schlichtung als einen Dreiklang: Die fachliche Präzision steht an erster Stelle – dabei hilft uns die erwähnte Branchenspezialisierung und ein sehr qualifiziertes Team mit rund 30 Volljurist:innen. Allerdings geht es nicht nur um die Klärung von Rechtsansprüchen – häufig geht es auch um Emotionen, weshalb Schlichtung zweitens auch Empathie erfordert. Wir möchten dafür sorgen, dass sich die Reisenden mit ihrem Anliegen verstanden und gehört fühlen. Und – last but not least – die Effizienz durch schlanke Prozesse und Digitalisierung, damit die Schlichtung für alle Seiten schnell, unbürokratisch und finanziell attraktiv ist.

Laut Ihrem Tätigkeitsbericht konnte in gut 80 % aller Fälle eine einvernehmliche Streitbeilegung erzielt werden. Muss hier immer geschlichtet werden oder reicht es, dass Sie das Unternehmen anschreiben?

CB: Teilweise erklären Unternehmen ihre Zahlungsbereitschaft bereits sofort nach unserer ersten Kontaktierung. Kommt es auf dieser ersten Stufe zu keiner Einigung, dann prüfen wir den Fall juristisch und unterbreiten eine entsprechende Schlichtungsempfehlung. Erfahrungsgemäß werden die Schlichtungsempfehlungen von Reisenden fast immer angenommen. Und auch bei den Unternehmen ist die Zustimmung sehr hoch, einige Unternehmen erklären sogar ihre pauschale Annahme zu allen Schlichtungsempfehlungen der söp.

In vorigen Beiträgen dieser Reihe war zu lesen, dass Schlichtungsstellen vernetzt arbeiten. Auch das von Ihnen initiierte TRAVEL-Net wurde erwähnt. Welche Chancen und Notwendigkeiten sehen Sie für eine stärke Vernetzung auf deutscher wie auch auf europäischer Ebene?

CB: Verbraucherschlichtung ist noch relativ jung und unbekannt – die Vernetzung liegt uns daher sehr am Herzen. Bereits kurz nach unserer Gründung haben wir in Berlin ein Forum für den Austausch der deutschen Schlichtungsstellen geschaffen. Vor einigen Jahren haben wir dann auf europäischer Ebene das Netzwerk TRAVEL_NET gegründet. In diesen Netzwerken diskutieren wir rechtliche Fragen, tauschen uns aber auch viel über die Verfahrensgestaltung aus. Die Rolle und Verankerung von Schlichtung ist in den jeweiligen Ländern mitunter sehr verschieden. Das finde ich persönlich einen besonders spannenden Punkt – was ist wo Best Practice, wie können wir voneinander lernen?

Herr Dr. Berlin, vielen Dank für dieses Gespräch!

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