Was Sie schon immer zum Thema „Schlichtung & Co.“ wissen wollten… (8)

(8) - Und funktioniert das alles über Ländergrenzen hinweg?

Schlichtung und Mediation funktionieren auch über Landesgrenzen hinweg. Foto: privat

(Von Jakob Thevis, Leiter der OS-Kontaktstelle) – Wie Schlichtung in nationalen Sachverhalten funktioniert, wurde in den vorherigen Artikeln dieser Reihe beleuchtet. Dieser letzte Artikel widmet sich der Schlichtung in grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der EU. Um in diesen Fällen die richtige Schlichtungsstelle zu finden, hilft Ihnen ein EU-weites Netzwerk an nationalen Kontaktstellen, die meist bei den Europäischen Verbraucherzentren des ECC-Net angesiedelt sind.

Der Warenkauf oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen im EU-Ausland sind für uns Europäer mittlerweile völlig selbstverständlich. In der Regel denken wir beim Vertragsschluss nicht darüber nach, dass der grenzüberschreitende Vertragsschluss juristisch sehr viel komplexere Probleme hervorrufen kann, als wenn beide Vertragsparteien derselben nationalen Rechtsordnung angehören. Darüber denkt man vor allem deshalb nicht nach, weil der Kauf völlig unproblematisch abläuft. Ob ich nun für fünf Euro bei der deutschen oder der französischen Bäckerei einkaufe, macht keinen Unterschied. Der Einkauf läuft identisch ab und die Währung ist die gleiche. Lediglich die Sprache und die Backwaren unterscheiden sich – das gilt übrigens entsprechend für viele teurere Produkte und Dienstleitungen. Warum also sollte es bei Streitigkeiten mit einem Unternehmen aus dem anderen EU-Mitgliedstaat komplizierter sein als mit einem Unternehmen in meinem Heimatland?

Dieser Gedanke klingt logisch und nachvollziehbar. Die Realität zeichnet jedoch ein anderes Bild. Kommt es zu Schwierigkeiten, z. B. mit einem französischen Online-Händler, zeigt sich die Komplexität einer grenzüberschreitenden Streitigkeit. Neben der Sprachbarriere gibt es meist aufgrund der unterschiedlichen Rechtsordnungen weitere Probleme. Beispielsweise stellen sich die Fragen, welches Recht überhaupt anwendbar ist und vor welchem Gericht man Klage erheben kann. Sollte man dann tatsächlich vor Gericht ein rechtskräftiges Urteil zu seinen Gunsten erstritten haben, kommt oft noch die Frage der Vollstreckung des Urteils in dem anderen Land auf einen zu. Beispiele aus der Praxis zu den rechtlichen und sprachlichen Hürden finden Sie am Ende dieses Beitrags.

Was also tun, wenn man nach einem einfacheren Weg sucht? Sie werden es ahnen: Man bemüht sich um eine außergerichtliche Streitbeilegung. Hierbei kann man auf Schlichtung, Mediation und/oder das Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren zurückgreifen.

Die Europäische Union hatte mit Öffnung des Binnenmarktes erkannt, dass neben dem grenzüberschreitenden Warenkauf auch die daraus resultierenden grenzüberschreitenden Streitigkeiten zunehmen würden. Um dieser Entwicklung zu begegnen, hat die Europäische Union eine ADR-Richtlinie und eine ODR-Verordnung erlassen. Damit soll die Schlichtung innerhalb der Europäischen Union gefördert werden. Mittlerweile gibt es fast 500 anerkannte Verbraucherschlichtungsstellen in der EU (beziehungsweise dem EWR) und eine gemeinsame Plattform zur Online-Streitbeilegung, in der alle anerkannten Schlichtungsstellen aufgeführt sind. Über diese Plattform können Verbraucher den Unternehmer, mit dem sie im Clinch liegen, kontaktieren, damit dieser eine Schlichtungsstelle zur Lösung der Streitigkeit vorschlägt. Tut der Unternehmer das, dann wird der Fall direkt über die Plattform zur Schlichtungsstelle weitergeleitet. Großer Vorteil dieser Plattform ist, dass der Verbraucher die Anfrage in seiner Muttersprache einreichen kann und diese über ein integriertes Übersetzungstool, oder, falls dieses nicht ausreicht, mithilfe von Beratern der OS-Kontaktstellen in die Sprache des Unternehmers übersetzt werden kann. Alternativ kann über diese Plattform auch direkt zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher kommuniziert werden, sie also im direkten Austausch eine Lösung finden.

Parallel hierzu gibt es das Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren (European Consumer Centers Net, kurz: ECC-Net), das in allen 27 EU-Staaten, in Island, in Norwegen sowie im Vereinigten Königreich mit einem Zentrum vertreten ist.

Der große Vorteil des ECC-Net ist, dass an einem Fall jeweils Juristen aus dem Verbraucherland und dem Unternehmerland zusammenarbeiten. Hat zum Beispiel ein Verbraucher aus Deutschland eine Streitigkeit mit einem französischen Händler, dann wendet sich dieser an das Europäische Verbraucherzentrum (EVZ) Deutschland. Die deutschen Juristen prüfen dann den geschilderten Sachverhalt und leiten den Fall, sofern dieser begründet ist, an das EVZ Frankreich weiter.  Die Juristen vom EVZ Frankreich, kontaktieren dann den französischen Unternehmer und machen dort die Rechte des deutschen Verbrauchers geltend – oder sie leiten den Fall an die zuständige Schlichtungsstelle in Frankreich weiter. Hierbei ist von großem Vorteil, dass die Juristen die unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen kennen und Sprachbarrieren überwunden werden, wovon auch die Schlichtungsstellen profitieren können, die anders als das ECC-Net nicht in allen Sprachen der EU kommunizieren können. Eine außergerichtliche Lösung ist so oft überhaupt erst möglich. Das passt gut dazu, dass die ODR-Verordnung nahelegt, die nationalen Kontaktstellen für Online-Streitbeilegung bei den Europäischen Verbraucherzentren anzusiedeln, um so Synergien zu schaffen und Schlichtung in grenzüberschreitenden Fällen zu fördern.

Ein Beispiel für die Wichtigkeit der jeweiligen Expertise zur nationalen Rechtsordnung ist das Gewährleistungsrecht. Dieses fußt zwar auf einer EU-Richtlinie. Aber auch bei Gesetzen, die auf eine europäische Richtlinie zurückgehen, gibt es in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der Union unterschiedliche Umsetzungen dieser Regelungen. So gilt zum Beispiel in allen Mitgliedsstaaten, dass die Gewährleistungsrechte auf neue Artikel mindestens zwei Jahre gelten. Bei der Ausgestaltung der Beweislastumkehr zugunsten der Verbraucher innerhalb dieser Gewährleistungsfrist gibt es jedoch Unterschiede. Diese beträgt in Deutschland sechs Monate. In Frankreich hingegen gilt diese zwei Jahre, deutlich vorteilhaft für Verbraucher. Mit diesem Wissen zu den nationalen Unterschieden lassen sich Ansprüche, die man mit dem deutschen Rechtsverständnis bereits mangels Beweisbarkeit nach Ablauf der sechs Monate bereits aufgegeben hatte, doch noch durchsetzen.

Um neben den Unterschieden der nationalen Rechtsordnung auch den Vorteil der Überwindung der Sprachbarriere zu erläutern, bietet sich folgendes Beispiel aus der täglichen Praxis an:

Fliegt zum Beispiel ein deutscher Verbraucher von einem französischen Flughafen mit Air France und hat dieser Flug eine mehrstündige Verspätung, dann kann dieser gegen Air France seine Entschädigungsansprüche nach der EU-Fluggastrechteverordnung  geltend machen. Eine EU-Verordnung wie die EU-Fluggastrechteverordnung gilt stets unmittelbar. Es gibt hier also keine nationalen Unterschiede. Die Anspruchsgrundlagen sind dann in allen Mitgliedsstaaten gleich. Es bleibt dann nur noch die Sprachbarriere bei der Durchsetzung der Rechte gegenüber einem Unternehmen aus einem anderen EU-Staat. Sollte sich also im vorliegenden Beispiel der deutsche Verbraucher nicht mit Air France einigen können, dann kann er seine Beschwerde bei der französischen Schlichtungsstelle MTV einreichen. Diese ist nicht mit dem Musiksender zu verwechseln, sondern ist die Abkürzung für „La Médiation Tourisme et Voyage“. Da hier ein Antrag aber nur in französischer oder auch in englischer Sprache möglich ist, kann er das ECC-Net um Unterstützung bitten. Dort kann dann im Rahmen des Netzwerks eine genaue juristische Analyse durchgeführt werden und der Antrag in bestem juristischen Französisch an die Schlichtungsstelle weitergeleitet werden. In einem umgekehrt gelagerten Fall leiten die Juristen des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland einen Fall dann auch an die SÖP – Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr weiter.

Bei Interesse zur Durchführung eines Schlichtungsverfahrens in Deutschland oder dem EU-Ausland, stellt die Kontaktstelle für Online-Streitbeilegung eine Orientierungshilfe auf ihrer Seite bereit. Hier wird dem Verbraucher die zuständige Schlichtungsstelle genannt und er erhält einen kurzen Überblick über das Verfahren. Das Gute hier ist, dass einem schnell und unkompliziert gezeigt wird, in welchem europäischen Land welche Schlichtungsstelle zuständig ist.

Das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland ist neben anderen Aufgaben auch nationale Kontaktstelle für die Europäische Plattform für Online-Streitbeilegung und unterstützt Verbraucher bei der Ermittlung der zuständigen Schlichtungsstelle in einem anderen EU-Land, Island, Liechtenstein oder Norwegen.

Verbraucher können die Plattform für Online-Streitbeilegung der EU-Kommission nutzen, um Kontakt mit Schlichtungsstellen in ganz Europa aufzunehmen oder mit dem Unternehmen im direkten Gespräch eine Lösung finden. Die Plattform bietet einen zentralen Zugang zu allen anerkannten Schlichtungsstellen in Europa und ist insbesondere dann nützlich, wenn das Unternehmen in einem anderen Europäischen Land sitzt. Die richtige Schlichtungsstelle findet sich meistens in dem Land aus dem das Unternehmen kommt. Integrierte Übersetzungstools können dabei helfen, Sprachbarrieren zu überbrücken.

Als deutsche Kontaktstelle berät das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland zur Funktionsweise der Plattform, zu Verbraucherrechten, zu Schlichtungsstellen und – wenn Schlichtung einmal nicht weiterhilft – zu anderen Rechtsschutzmöglichkeiten.

Neben der deutschen Kontaktstelle sind auch die meisten anderen nationalen OS-Kontaktstellen bei den jeweiligen Europäischen Verbraucherzentren angesiedelt.

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