Was will Daniel Ortega?
Der autokratisch regierende Präsident von Nicaragua, Daniel Ortega, hat Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt. Wegen „Beihilfe zum Völkermord“ in Gaza.

(KL) – Daniel Ortega war einst der Held der westlichen Linken, als einer der Protagonisten der sandinistischen Revolution, mit der vor mehr als vier Jahrzehnten die Diktatur von Anastasio Somoza blutig beendet wurde. Doch während man noch hoffte, dass die Sandinisten ein menschenwürdiges Nicaragua erschaffen würden, wurde die Somoza-Diktatur durch die Ortega-Diktatur ausgewechselt und in Nicaragua sitzen heute zahlreiche Oppositionelle in Gefängnissen und Putin-Freund Ortega (Nicaragua stimmt in der UNO-Vollversammlung regelmäßig zusammen mit Russland ab) ignoriert weitgehend die Menschenrechte in seinem Land. Nun hat Nicaragua Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt, wegen „Beihilfe zum Völkermord“ in Gaza.
Sollte Ortegas Klage darauf abzielen, europäische Gelder der Entwicklungshilfe versiegen zu lassen, dann hat er alles richtig gemacht. Zwar hat Deutschland bereits vor Jahren seine direkten Zahlungen an das Regime in Managua eingestellt, doch die europäischen Hilfsgelder für Nicaragua finanziert Deutschland zu 20 % mit. Ob man das weiterhin tun will, sollte man sich gut überlegen.
Dass die Situation in Gaza äußerst kritisch ist, steht außer Frage. Doch dass die Hamas für die Entwicklung in Gaza sorgt, da ihr die dortige Lage in die Karten spielt und die Unterstützung der arabischen und moslemischen Welt für die als Ziel definierte „Vernichtung des Staats Israel“ sichert, darüber sieht man inzwischen geflissentlich hinweg. Rechtlich gesehen ist das, was in Gaza passiert, kein „Völkermord“ und Israel wurde selbst vor dem Internationalen Gerichtshof nicht für „Völkermord“ verurteilt, sondern dazu, alles dafür zu tun, dass es zu keinem Völkermord kommt. Die Frage, ob es sich um einen Völkermord handelt, wird Gegenstand eines langwierigen Verfahrens sein, weswegen eine Klage wegen Beihilfe zu einem nicht festgestellten Verbrechen auf sehr wackligen Füssen steht. Insofern ist die Klage gegen Deutschland wegen „Beihilfe zum Völkermord“ nicht viel mehr als ein Ärgernis, das die Beziehungen zwischen dem mittelamerikanischen Land und Deutschland auf lange Zeit belasten wird.
Dazu zeugt die Klage aus Managua von einer Unkenntnis der Geschichte Europas. Dass Deutschland zu den stärksten Unterstützern von Israel zählt, ist angesichts dieser europäischen Geschichte nachvollziehbar und normal. Ohne den Holocaust hätte es wahrscheinlich den Staat Israel nie gegeben und dass sich Deutschland in der moralischen Verpflichtung sieht, Israel und generell jüdische Menschen zu verteidigen, ist normal. Das erklärt auch, warum das deutsche Verhältnis zu Israel ein anderes ist als das anderer europäischer Staaten, und dass sich Deutschland zur Aufgabe gemacht hat, die ständig von der Hamas, der Hisbollah und dem Iran angekündigte „Vernichtung Israels“ zu verhindern, ist geradezu logisch. Deutschland steht gegenüber Israel in einer historischen Schuld, woran auch die weitgehende Ablehnung der Regierung Nethanjahus nichts ändert.
Die Klage von Nicaragua wird nicht viel bewirken, außer dass man anfängt, die Positionen des Landes genauer unter die Lupe zu nehmen, beispielsweise seine Unterstützung Russlands und des Angriffskriegs auf die Ukraine. So kann man nicht einmal sicher sagen, dass diese Klage am Ende nicht auf Betreiben Moskaus eingereicht wurde.
Und nun ist auch der Zeitpunkt gekommen, zu dem man sich fragen muss, warum Deutschland Projekte wie die Wasserversorgung der Hauptstadt Managua und vier weiterer Regionen für ein Land finanziert, das sich Deutschland gegenüber offen feindselig verhält.
Schade für die vielen, nach der damaligen Sandinisten-Revolution entstandenen Städtepartnerschaften zwischen beiden Ländern, wie zwischen Wiwili und Freiburg, in deren Rahmen zahlreiche soziale Projekte initiiert wurden. Doch die Zusammenarbeit mit Nicaragua wird nach dieser Klage stark erschwert werden und die Verantwortung hierfür trägt ein Präsident, der sich vom Revolutionär zum Autokraten gewandelt hat. Und nun muss man abwarten, was der Internationale Gerichtshof in diesem Fall zu unternehmen gedenkt.
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