Weihnachten mit Fassbinder – na dann: frohes Fest!

In der Hochphase des Advents stimmen uns die beiden Großkulturstätten in Straßburg mit ziemlich düsteren Aufführungen auf das Fest des Friedens ein: Dantes Höllenkinder Francesca und Paolo in der Oper und Rainer Werner Fassbinder im Théâtre National TNS.

Öh, ja, dann mal ein besinnliches Fest mit "Ich bin Fassbinder" im TNS in Strasbourg... Foto: TNS / Jean-Louis Fernandez

(Von Michael Magercord) – Starke Kost zur Weihnachtszeit auf Straßburgs Bühnen. Jedenfalls für zarte Seelen, die Sinnliches erwarten zur besinnlichen Jahreszeit. Aber weder in der Oper, noch im Nationaltheater TNS werden unsere jahreszeitlich eingestimmten Seelen gestreichelt.

In der Rheinoper läuft mit Francesca di Rimini eine großflächig komponierte Oper, die sich in einem klaren, äußerst kraftvollen Bühnenbild abspielt, worin eine hochkarätig besetzte Sängerschar die dramatischen Verstrickungen um ein Liebespaar, das keines sein darf, darbieten. Es soll ja Menschen geben, und das sind nicht die gefühllosesten, die gerade so eine seltsame Geschichte, die zwar heutzutage etwas abtrus erscheint, aber trotzdem Generationen überdauert hat, erst recht in Weihnachtsstimmung versetzt.

Ob dieses Programm nun durch seinen besonderen Tiefgang ein Kontrast bietet zum Weihnachtsmarkt vor dem Operngebäude oder sich gerade besonders darin einfügt, muss jedem selber überlassen bleiben. Und ist noch sinnlich oder doch schon zynisch, wenn man nach der Schlussszene – natürlich nur unbewusst – endlich weiß, was es zum Festessen geben soll? Christlich jedenfalls ist es wohl nicht sich ausgerechnet an ein feurig exotisches Fleischgericht zu erinnern, wenn die beiden Liebenden hintereinander stehend vom gehörnten Ehemann auf dessen Degen aufgespießt werden.

Doch woran soll man nun denken, wenn man stattdessen ins Theater geht? “Ich bin Fassbinder” erfährt im Straßburger TNS eine Wiederaufnahme in der letzten Adventswoche. Deutsches Regietheater also wird uns als Krippenspiel geboten mit allem drum und dran: von lässig vorgetragenen Gesangseinlagen bis zum schwungvoll präsentiertem Pimmelpropeller. Nur eines ist nicht dabei: Besinnlichkeit. Im Gegenteil, es geht um das Ende des bürgerlichen Gemütlichkeit der Tätergeneration, frischer Wind fegt durch das Muffelleben der Mitläufer zwischen Gelsenkirchner Barock und Sonntagsbraten, ein Aufschrei in die böse Welt, die ihren Ursprung im bundesrepublikanischen Wohnzimmer der 70er Jahre hat – und wozu das Ganze?

Da kommt definitiv keine Weihnachtsstimmung auf, höchstens als späte Rache für das Generationsversagen, was uns da auf der Bühne besonders schonungslos vor Augen geführt wird: als Tiger in den 60er Jahren gestartet und als Flokati gelandet – so scheint es jedenfalls nach den turbulenten eineinhalb Stunden menschlichem Chaos und gesellschaftspolitischer Ratlosigkeit. Übrig bleibt ein schon lange nicht mehr provokantes Hosenrunter.

Traurig, aber auch so kann Sinnsuche ins Leere laufen – und doch! Da, irgendwo zwischen Kunstledersofa und Schalenkunstoffstuhl, ist sie, die Weihnachtsbotschaft! Denn täte es nicht gut, einfach mal ein wenig Besinnung zuzulassen? In sich horchen und die Außenwelt mal für ein paar Momente draußen zu lassen? Und friedlich zu sein vor allem erst einmal zu sich selbst? Pazifismus üben in der ersten Person Singular als Beitrag zum Weltfrieden? Dann kann Weihnachten kommen – mit oder ohne Fassbinder.

“Je suis Fassbinder” – am Nationaltheater Straßburg TNS
Text von Falk Richter, Regie Stanislav Nordey und der Autor
mit Stanislas Nordey, Vinicius Timmerman, Laurent Sauvage, Judith Henry, Dea Liane

Beginn 20 Uhr, Dauer 1:55 ohne Pause
MO, 18.12. bis FR, 22.12.2017, täglich
Infos und Tickets unter www.tns.fr

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