Weihnachtsmarkt schlägt Public Viewing

In immer mehr Städten wird (heldenhaft...) das Public Viewing der Skandal-WM in Katar abgesagt. Eine Entscheidung, die wohl keiner der Stadtverwaltungen schwer fiel...

DAS wird es dieses Jahr nicht geben. Glücklicherweise. Aber Public Viewing im Winter hat ohnehin etwas Schwachsinniges... Foto: Dronepicr / Wikimedia Commons / CC-BY 3.0

(KL) – Als am 2. Dezember 2010 ein gewisser Sepp Blatter einen Zettel aus einem Umschlag zog und verkündete, was er längst wusste, nämlich dass die FIFA die Fußball-WM 2022 nach Katar vergibt, lächelte die Welt zunächst. Eine Fußball-WM im Winter in einem Emirat am Golf? Ein Witz? Kein Witz. Proteste regten sich kaum. Als dann die Berichte von Amnesty International und anderen NGOs bekannt wurden, die von Tausenden toten Arbeitern berichteten, die in Katar auf den Stadion-Baustellen wie Sklaven gehalten worden waren, wiegelte der Weltverband FIFA ab, sein Präsident Gianni Infantino log das Blaue vom Himmel herunter und außer den NGOs regte sich immer noch niemand auf. Jetzt, wenige Wochen vor Beginn dieser blutbefleckten WM, sind plötzlich alle empört und ergreifen so offensichtliche Gutmenschen-Maßnahmen, dass es schon fast peinlich ist. Eine Stadt nach der anderen sagt das Public Viewing für diese Skandal-WM ab und wohl selten fiel eine solche Entscheidung leichter.

Zur Erinnerung – diese WM findet im Winter statt, von Ende November bis unmittelbar vor Weihnachten. In den Städten laufen dann die Weihnachtsmärkte und überall hofft man, dass die Pandemie dem weihnachtlichen Treiben nicht erneut einen Strich durch die Rechnung macht. Und jetzt mal ernsthaft: Wer bitteschön hätte sich auch bei minus 5 Grad in ein Public Viewing gesetzt, um Spiele mit Anstosszeiten von 11, 14, 17 und 20 Uhr anzuschauen? Wer tatsächlich noch Lust verspürt, Spiele dieser völlig verkorksten WM anzuschauen, der macht das daheim, aber sicher nicht im Schneesturm (falls es dieses Jahr Schnee geben sollte).

Public Viewing kostet Geld und Energie. Von beidem ist momentan nicht genug vorhanden, weswegen sich wohl keine Stadtverwaltung sonderlich schwer getan hat, mit großer Geste das Public Viewing abzusagen. Gekommen wäre ohnehin kaum jemand.

Natürlich ist es richtig, dieses Public Viewing abzusagen. Glaubwürdiger wäre es allerdings gewesen, wenn diejenigen, die das jetzt alles angesichts immer lauter werdender Proteste nicht mehr so toll finden, in den letzten 12 Jahren ihre Stimme erhoben hätten. Gegen die Winter-Austragung in der Wüste. Gegen die Vergabe dieser WM, die das Ergebnis massiver Korruption ist. Gegen die Arbeitsbedingungen der Sklaven-Arbeiter. Gegen die FIFA, die wohl mit dem IOC mittlerweile als der korrupteste Sportverband gilt. Gegen diese unglaubliche Vermischung von Sport und Politik. Gegen die Präsidenten der FIFA Sepp Blatter und Gianni Infantino, die aus einem Sportverband einen Selbstbedienungsladen gemacht haben. Gründe und Gelegenheiten zum Protest gegen diesen Skandal hätte es genug gegeben. Gehört hat man allerdings niemanden.

Obwohl die Absage des Public Viewings richtig ist, stellt sie alles andere als eine „Heldentat“ dar. Und alle, die sich heute selbst für diese „mutige“ Entscheidung feiern, sollten sich in einer stillen Stunde selber fragen, warum sie nicht schon ein paar Jahre früher den gleichen Heldenmut an den Tag gelegt haben.

Und somit wird es nicht etwa, wie Gianni Infantino vollmundig angekündigt hat, „die tollste WM aller Zeiten“, sondern ein höchst widerlicher Sport-Event, der in dieser Kategorie eigentlich nur noch mit den Olympischen Spielen in Peking, den Winterspielen im russischen Sotchi und der Fußball-WM 2018 in Russland konkurrieren kann. Und jede Wette – es wird reichen, dass das eigene Team im Turnier weit kommt, und 95 % der heutigen Boykotteure werden wieder brav vor dem Fernseher sitzen. Aber wenigstens nicht beim Public Viewing bibbern…

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