Weimar liegt in Thüringen

Seit Mittwoch Mittag tickt der Uhr der Republik anders: Teile der CDU und FDP machen gemeinsame Sache mit der AfD – eine politische Geografiestunde für alle, die es noch nicht wussten: Weimar liegt im Bundesland Thüringen

Das ist Herr Kemmerich, der neue Ministerpräsident von Thüringen und AfDs Gnaden. Foto: Sandro Halank / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Was gibt es denn da bloß zu diskutieren? Alles verlief doch gemäß der Verfassung – und was „die Verfassung vorsieht, darf man nicht diskreditieren“, sagte FDP-Mann Wolfgang Kubicki nur wenige Minuten nach der Bekanntgabe des überraschenden Ergebnisses der Ministerpräsidentenwahl im Erfurter Landtag im ostdeutsche Bundesland Thüringen.

Nun mag diese diskussionslose Verfassungstreue des stellvertretenden FDP-Chefs dem Umstand geschuldet sein, dass es ausgerechnet seine Partei es geschafft hat, einen Ministerpräsidenten eines Bundeslandes zu installieren. So oft passiert das ja nicht, zum bisher einzigen Mal mit Reinold Maier in Stuttgart, der 1953 wegen schlechter Wahlergebnisse zurücktrat.

Doch natürlich hat der gestandene Parlamentarier recht: Die Wahl war verfassungsgemäß, FDP-Kandidat Kemmerich hat eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereint. Punkt. Dass die Stimmen von den Rechtsradikalen kamen, auch noch der rechtsradikalsten Landtagsfraktion der gesamten Republik? Stimme ist Stimme, jede ist gleich wert, sagt der neue Ministerpräsident. Dass er dabei die Stimme vom Faschisten Bernd – Pardon: Björn – Höcke erhalten hat? Es sei eine geheime und freie Wahl gestellt, da könne er ja vorab nicht wissen, wer ihn dann wählen würde, sagt der neue Landesvater. Aber vielleicht ahnen, also so vage jedenfalls… Die Brandmauern gegen die Radikalen, sagt der nun ach so starke Mann im Land, werden weiterhin aufrechterhalten!

Im Anschluss an die Wahl hat Herr Kemmerich aus Aachen die Glückwünsche von Herrn Höcke aus Hessen per Handschlag im Thüringer Landtag entgegengenommen. Was natürlich nichts heißen soll. Das gebieten die normalen Umgangsformen. Er hatte ja zuvor schon die Glückwünsche der Parlamentspräsidentin ebenso entgegengenommen, obwohl er deren Partei die Linke ebenso zu den Radikalen zählt, gegen die es die Brandmauern aufrechtzuerhalten gilt.

Denn das muss man ihm lassen: In der Zeit seit der Wahl im Oktober hat er genau das getan: Keine Gespräche mit Rot-Rot-Grün und ihrem Kandidaten. Dabei klang das so schön, was sich dem Parlamentarismus in Thüringen darbot: „Projektregierung“. Also eine Regierung von Rot-Rot-Grün ohne Mehrheit, die sich unter den Abgeordneten immer wieder Mehrheiten sucht. Keine schlechte Idee, denn das kann durchaus produktiv sein, wie zum Beispiel im Europaparlament. Aber da stand seine Mauer und die FDP mauerte mit ihm. Nun aber will der von den Radikalen von Rechts gewählte Ministerpräsident genau das tun: Mehrheiten suchen im Parlament. Aber angeblich ausgerechnet nicht bei denen, die ihn gewählt haben – warum aber hat er sich dann von vornherein in Kauf genommen, sich ausgerechnet von denen wählen zu lassen, die er nun ausschließen will… Aber halt! Jetzt bloß nichts diskreditieren, was die Verfassung so hergibt.

Auch nicht, wenn sich nicht einmal jene, die ihn mitgewählt haben, über diese Brandmauer, die da nun trotzdem weiterhin gegen sie bestehen bleiben soll, wirklich ärgern? Als der frisch gewählte Ministerpräsident in seiner kurzen Antrittsrede die Existenz der Brandmauer einmal mehr beschwor, gab es ausgerechnet Applaus von den brandgemauerten Radikalen. Dahinter lässt es sich nämlich genüsslich feixen: Wenn die FDP und CDU den Spaß eines verfassungsgemäßen Regierungssturzes mitmachen – was kann doch angeblich so weggemaurten Radikalen besseres widerfahren? AfD- Landtagsabgeordneter Stephan Möller hatte es wenig später treffend formuliert: Wenn sich solche „stratekischen Obtiönen“ (Achtung Thüringisch) wie die Wahl eines nützlichen Gegners bieten, um ans Ziel zu kommen, muss man einfach zugreifen. „An uns führt kein Weg mehr vorbei“, frohlockt nun auch die Bundes-AfD – was stimmt, wenn sich mit diesem Mittwoch die Bundesrepublik auf dem Gang nach Weimar gemacht hat.

Und Weimar liegt ja schließlich in Thüringen. Weimar, die Stadt der Dichterfürsten? Die auch, gemeint aber ist das Weimar, wo 1919 die Verfassung ersten Republik auf deutschem Boden ausgearbeitet wurde, also für jenen Staat, der auf verfassungsmäßigem Weg vierzehn Jahre später wieder abgeschafft wurde. Wie am Mittwoch in Thüringen lief darin nämlich bis zum 30. Januar 1933 alles genauso, wie es die Verfassung vorsah.

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