Weltstimmungstief – und dann noch WM…

Eigentlich soll das Stimmungstief erst nach einer Fußball-WM einsetzten, wenn alle Tore gefallen sind und man von der großen Leere übermannt wird, die einen dazu zwingt, sich wieder mit der Welt an sich zu befassen. Doch dieses Mal steigt der Stimmungspegel gar nicht erst auf WM-Niveau.

In den Ländern in Rot wird es in den nächsten vier Wochen kaum Stress geben... Foto: Neymar1384 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Nun läuft es wieder, das Plastikleder, weltumspannend. Milliarden von Menschen werden gebannt vor den Bildschirmen sitzen und sich an den strammen Waden und Oberkörpertattoos von Jungmillionären erfreuen. Oder ärgern. Hauptsache Emotionen.

So sollte es jedenfalls sein, und bisher konnte man sich darauf verlassen, dass es so war. Auch Politiker. Was können die nicht alles umsetzen, wenn mal keiner hinguckt. Neustes Beispiel die Parteienfinanzierung. Trotzdem, fünfzehn Prozent mehr in die Parteikassen sind innenpolitische Kinkerlitzchen. Soviel muss uns die WM einfach wert sein. Doch wenn man – wie es sich bei einer Weltmeisterschaft gehört – im Weltmaßstab denkt, kann einem angst und bange werden. Vor allem, wenn man bedenkt, wer dieses Mal nicht dabei ist und die Ablenkung aller anderen für sich ausnutzen können.

Dankbar muss man der FIFA sein, dass die WM in Russland stattfindet, können die wenigstens keinen anderen Unsinn anstellen. Aber was ist mit den USA und Nordkorea? Während Südkorea und Japan kicken müssen, kriegen die beiden gar nicht mit, was die neuen besten Freunde noch so alles aushecken. Vielleicht ein Freihandelsabkommen? Für Atomwaffen? Allah sei Dank sind wenigstens Iran und Saudi-Arabien dabei und werden sich keinen dummen Streich spielen, sondern Fußball. Aber die Türkei schon. Sie ist nicht dabei und wählt ausgerechnet während der WM einen Präsidenten – und vor lauter Phantom-Fußballfieber dann sicher den mit dem Gündogan-Trikot.

Die Kolumbianer wählen auch, aber sie spielen ja mit, da wird alles friedlich bleiben (http://eurojournalist.eu/frieden-wie-in-alten-zeiten/). Ohnehin ist Süd- und Mittelamerika in einer hohen Mannschaftsdichte vertreten, da sind alle vollauf beschäftigt. Nur Europa ist völlig unterrepräsentiert – und damit wird es gefährlich. Etwa für die Engländer, denn da könnten sich die Schotten und Waliser ganz heimlich davonmachen, während die kläglichen Restbriten gerade Roonie hinterhertrauern. Oder die Iren und Nordiren, treiben die nun einfach zusammen ab – vom Königreich wohlgemerkt?

Auch die Polen werden sich noch umgucken. Die kicken ausgerechnet in Russland vor sich hin, und zack, raus sind sie aus dem Verbund der EU-Verbundsverweigerer. Wenn Österreicher, Ungarn, Böhmen, Mähren, Slowaken und Slowenen nichts Rechtes mehr ablenkt, denken die gleich wieder ans gemütliche Habsburg – darin ist kein Platz für die stolzen und immer etwas aufgeregten Polen.

Und dann sind da noch die härtesten Brocken, Holland und Italien. Ausgerechnet die sind nicht mit uns. Ausgerechnet jetzt! Die Häme, die das bei so manchen im Vorfeld ausgelöst hatte, ist so gar nicht angebracht, denn auf was für hinterlistige Gedanken können die nun alles verfallen. Am Mittwoch musste Hollands Premierminister Mark Rutte im EU-Parlament seine Niedrigsteuerpolitik noch hinter dem Ruf nach einer – wie er selber weiß – letztlich unmöglichen OECD-einheitlichen Steuerpolitik verstecken. Doch jetzt, unbeobachtet vom Fußballeuropa, könnten die Holländer noch schnell ein paar Steuerschlupflöcher mehr in ihren Gouda bohren. Und was die neue italienische Regierung alles so anstellen kann, steht ja nicht nur in den fünf Sternen.

Dem Eurojournalist(e) versicherte Mark Rutte zwar, dass er die WM trotzdem verfolgen würde und Belgien die Daumen drückt. Und vorbildlich gar der EU-Parlamentspräsident und Italiener Antonio Tajani. Der setzt nämlich auf alle europäischen Mannschaften, wobei – wie er ebenfalls dem Eurojournalist(e) gestand – sein Herz besonders für das neuerliche EU-Vorzeigemitglied Spanien schlägt.

Aber so richtig kann uns das trotzdem nicht beruhigen. Was bleibt? Immerhin nehmen nächsten Mal schon 48 Mannschaften teil, also 48 Fußball versorgte Staaten. Und bei der Europameisterschaft sind es immerhin auch schon 24. Aber vielleicht sollte man dann dafür sorgen, dass Frankreich und vor allem Deutschland nicht dabei sind. Was könnten die beiden alles so in der EU in die Wege leiten, wenn mal vier Wochen sonst keiner reinredet. Und als Fan aus Resteuropa, stellen Sie sich das mal vor: ein Fußball-Großturnier ganz ohne Dauerfavorit Deutschland! Naja, das wird wohl sicher doch nie passieren, aber man wird ja mal träumen dürfen.

Link zur Presskonferenz Tajani-Rutte – für Fussball-Fans ab ca. 13’30“

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