Wenn BILD es sagt, muss es ja stimmen…

Ein angebliches „vertrauliches“ Papier aus einer nicht näher genannten Behörde geht durch alle Medien. Angeblich sollen dieses Jahr 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Wer den Aufkleber am Wochenende nicht auf seinem Briefkasten hatte, kam in den Genuss der Sonderausgabe der BILD. Die wieder dort ankommt, wo sie hingehört. Foto: Graf Foto / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – So eine Meldung könnte eigentlich jeder veröffentlichen. Laut einem „vertraulichen, internen Papier einer deutschen Behörde“ rechnet man dieses Jahr in Deutschland mit 1,5 Millionen Flüchtlingen, davon alleine 920.000 zwischen heute und dem Jahresende. Diese Meldung ging gestern durch sämtliche Medien, doch tauchte dieses „vertrauliche“ Papier bisher nirgends auf. Von „Migrationsdruck“ ist da die Rede, von „illegalen Grenzübertritten“ und davon, dass man befürchte, dass jeder anerkannte Flüchtling zwischen vier bis acht Familienangehörige nachziehen lassen würde. Hui. Da wäre er also, der Zusammenbruch des Abendlandes.

Woher die Zahlen stammen, dass jeder anerkannte Asylbewerber aus der Krisenregion in Syrien, Afghanistan und dem Irak vier bis acht Familienangehörige nachziehen lassen würde, erschließt sich uns ebenso wenig wie die Quelle dieses „vertraulichen“ Berichts. Der könnte nämlich überall herkommen, vom rechten Flügel der CSU, von der Führungsriege der „Pegida“ oder von anderswo. Falls es ihn überhaupt gibt.

Oder ob die BILD die Aussagen des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern Volker Caffier in der „Welt am Sonntag“ meinte, der sagte, er würde persönlich mit „1,2 bis 1,5 Millionen Flüchtlingen“ rechnen? Stammt der „vertrauliche Bericht“ etwa aus seinem Büro? Und worauf basiert dieser Bericht? Immerhin – die BILD-Meldung reicht, um die Stimmung mächtig gegen Flüchtlinge aufzuheizen. Denn dahin entwickelt sich gerade die Stimmung in Deutschland. Jetzt haben wir ein paar Wochen lang der Welt gezeigt, dass wir zu den Guten gehören, wir haben ein paar abgelegte Klamotten gespendet und jetzt ist es aber auch gut. Die Frage, die man heute am häufigsten hört, lautet: „Wer soll das bezahlen?“ – und die Antwort ist im Grunde einfach. Wir alle. Durch Umschichtungen in den Haushalten, durch einen klaren Kurswechsel. Schluss mit Privilegien, mit Bonbons für die Großindustrie, mit der Selbstbedienung an öffentlichen Töpfen. Es wird so unendlich viel Geld für Blödsinn ausgegeben, dass es leider jetzt an der Zeit ist, die Gelder dort einzusetzen, wo sie wirklich gebraucht werden. Es muss eben umgeschichtet und auf das eine oder andere verzichtet werden. Wenn wir es uns leisten können, hohe Milliardenbeträge in einem Berliner Flughafen zu verbuddeln, von dem unklar ist, ob hier je ein Flugzeug starten oder landen wird, wenn wir uns Projekte wie Stuttgart 21 leisten können, dann können wir es uns auch leisten, Menschenleben zu retten. Oder wollen wir noch lange zuschauen, wie menschliche Leichen an den Stränden des Mittelmeers angespült werden?

Das ist die eigentliche Frage, die diejenigen beantworten sollten, die heute behaupten, dass wir uns die Aufnahme der Flüchtlinge nicht leisten können: „Wie viel ist für Sie ein Menschenleben wert?“. Wem die Aufnahme, also die Rettung von Flüchtlingen zu teuer ist, der müsste eigentlich in der Lage sein, den Wert eines menschlichen Lebens in Euro und Cent auszudrücken. Oder aber sich Gedanken zu machen, auf welche Annehmlichkeit man verzichten kann, um diese Menschen zu retten.

Aber immerhin – ein Gutes hat der Hype um diese BILD-Meldung. Endlich kann man das Boulevardblatt wieder dort verorten, wo es hingehört. Hatte sich die BILD noch vor zwei Wochen alle Mühe gegeben, sich durch ihre Werbeaktion „Wir helfen!“ mit den Vereinen der 1. und 2. Bundesliga (bis auf sechs tapfere Zweitligisten, die sich dieser unsäglichen Marketingaktion der BILD verweigerten) als Verfechterin humanistischer Werte zu positionieren. Heute hilft die BILD wieder – aber dieses Mal den Hetzern, Falken und Brandstiftern, die wieder davon schwafeln, dass das Boot voll sei und wir das alles nicht mehr organisiert bekommen. So findet dann jeder wieder seinen Platz und das, was Hans-Magnus Enzensberger als „den kurzen Sommer der Anarchie“ bezeichnete, ist zum anbrechenden Herbst wieder vorbei. Solidarität und Helfen war gestern, ab sofort wird wieder gehetzt und dem rechten Pöbel die Rechtfertigung für seine Gewalttaten geliefert. Am Ende werden sich dann doch BILD und der Stammtisch durchsetzen. Wie unendlich schade.

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