Wenn das man keine Kunst ist

Die Galerie „Syndicat Potentiel“ bietet seit 25 Jahren jungen Künstlern – und die sich dafür halten – im Zentrum von Straßburg einen Raum zur Präsentation ihrer Werke. Nach einem Eigentümerwechsel steht dieser Raum zur Disposition. Am 13. Januar gibt es die letzte Vernissage – wenn nichts geschieht.

Wer unabhängige Künstler unterstützen möchte, sollte das jetzt tun. Bevor es zu spät ist. Foto: Syndicat Potentiel

(Von Michael Magercord) – „Kunst wurde zu etwas, das immer von der Frage begleitet wird, ob dieses oder jenes überhaupt Kunst ist, womit sich die Frage stellt: was ist Kunst überhaupt?“, fragte Jean-Luc Nancy kürzlich im Deutschlandfunk. Der Straßburger Philosoph hat dabei die zeitgenössischen Kunstwerke im Blick. Diese oder jene Objekte eben, die keinem klassischen Kunstbegriff entsprechen.

Bild oder Skulptur? Die Frage stellt sich nicht mehr, seit ein Kunstobjekt alles sein kann, was von einem Künstler – oder wer sich dafür hält – dazu gemacht wird. Und vor der Frage des Philosophen, ob es überhaupt Kunst ist, was da nun als modernes Kunstwerk vor uns steht, kann sich der Künstler vielleicht gerade noch drücken, nicht aber der Betrachter. Beantworten muss sie allerdings jeder für sich. Denn auch das ist die Moderne: die Zeit, in der alles relativ ist, und zwar relativ zu mir, dem modernen Individuum. Und für mich ist alles möglich, sogar, dass es Kunst ist.

Seit 25 Jahren bietet die kunstsinnige Bürgergruppe Syndicat Potentiel in Straßburg unweit des Place Austerlitz einen Ort an, wo man sich mit dieser Frage intensiv auseinander setzen kann. Bildhafte Werke, Installationen, Happenings oder was man noch alles in einem Erdgeschossraum präsentieren kann, wurden seither von 45.000 Besuchern auf ihren Kunstgehalt befragt. Die 600 Künstler, die ihre Objekte dazu bereitgestellt haben, waren oft noch Studenten der hiesigen Kunsthochschule HEAR.

Ein Ort der Begegnung und des Austauschs geschaffen zu haben, so lautet der eigene Anspruch der Initiative. Und das dies nicht nur Kuratorenprosa ist, bewies zuletzt der von ihr und dem HEAR organisierten Austausch von jungen Künstlern aus Straßburg und dem sibirischen Jakutsk, bei dem es zu einer etwas angespannten Begegnung von Kunstauffassungen kam. Interkultureller Streitpunkt zwischen dem europäischen Westen und dem nordasiatischen Osten war, wieviel Tradition in der Kunst bewahrt werden solle, was ja letztlich wieder einmal die Frage nach dem Überhaupt der Kunst stellt.

Und genau diese Frage, die in der Moderne eigentlich nur jeder für sich beantworten kann, bedarf nun einer ganz profanen Klärung. Denn das Syndicat Potentiel steht zur Disposition: Das Haus, worin sich die Galerie befindet, wurde nach einem Erbfall verkauft. Der bisher sehr günstige Mietvertrag läuft zum 15. Februar aus. Das wär’s dann, es sei denn, die Stadt Straßburg greift ein. Entweder sie verhängt einen Bestandsschutz und erhöht ihre Subvention, die sich bisher auf 15.000 Euro im Jahr beläuft, um die erhöhte Miete zu begleichen. Doch sind die öffentlichen Kassen knapp bestückt. Oder sie bietet der Initiative ein ebenso zentrumsnahes Ausweichquartier aus kommunalem Besitz an. Auch das ist ein knappes Gut. Aber egal, ob nun so oder so oder doch nichts: die Frage, ob dieses oder jenes noch Kunst ist, ist damit unweigerlich eine politische geworden. Und auf solche Fragen müssen Antworten gefunden werden.

Wozu also Kunst? Spötter könnten sagen, moderne Ausstellungsräume sind das, was einmal Kirchen waren. Die stehen überall, nur hingehen tut man nicht, jedenfalls nicht zum Gottesdienst. Aber es ist gut, dass es sie gibt. Man hat das wohlige Gefühl, dass sich da jemand um den himmlischen Beistand kümmert, ohne es selbst tun zu müssen. Dasselbe gilt für Museen und Theater: ihre bloße Existenz vermittelt das wohlige Gefühl, Teil einer erhabenen Zivilisation zu sein, ohne sich ihren tiefsinnigen Ergüssen aussetzen zu müssen.

Ein Philosoph hingegen mag in den Objekten von Künstlern unabdingbare Zeichen erkennen, die es ihm Rückschlüsse auf die zukünftige geistige Entwicklung der Gesellschaft erlauben. “Als Individuen stehen wir nie allein in der Welt, wir sind immer von ihrem Wandel erfasst”, sagt Jean-Luc Nancy und stellt fest, dass kein Künstler in der Lage ist, Werke so schaffen, wie sie Menschen vor nicht einmal 50 Jahren erschaffen haben: “Man kann seiner Zeit nicht entfliehen, und das war immer so”. Einen Trost für jene, die die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Kunst schon heute beantwortet haben wollen, hält der Philosoph auch nicht bereit: “Als Zeitgenossen können wir nicht erkennen, welche künstlerischen Produkte unserer Epoche letztlich überdauern werden.”

Und schlichtere Gemüter können einfach sagen: Es mag sein, dass das alles Blödsinn ist, worum sich morgen schon keiner mehr scheren muss, aber gerade das macht ja nichts, wenn es sich bloß um Kunst handelt. Immer noch besser dafür Geld auszugeben, als für Dinge, die man nicht so einfach los wird. Wie für die grausigen Architekturwüsten etwa, die derzeit entlang der neuen Tramlinie nach Kehl entstehen. Die verbleiben dort, solange wir leben werden. Ist es da nicht doch sinniger, seine Energie auf Vergängliches zu richten? Oder wenigstens ein bisschen Geld in das Stellen von Fragen nach dem Überhaupt zu investieren?
Kurz: ist es in unserer Welt nicht die wahre Kunst, mit seinen Energien und Geldern keinen dauerhaften Unsinn anzurichten?

Wer so schlicht denkt, hat die Frage nach dem Sinn bereits beantwortet und sollte sich am Freitag, den 13. die Vernissage im Syndicat Potentiel mit den Objekten von Gariste Gatené nicht entgehen lassen. Laut Kuratorenprosa werden dort einmal mehr die Grenzen des Sinns ausgetestet, dieses Mal mithilfe von alphabetisierten, im Reißverschlussmodus angeordneten Pflastersteinen. Der Schrei der modernen Vandalen soll uns dort entgegen tönen und damit die sich selbst im Wege stehende Ästhetik unseres öffentlichen Raumes erkennbar werden. Na, wenn das man keine Kunst ist…

Syndicat potentiel
13 rue de Couples
Straßburg – Krutenau

Ausstellung
14 . bis 28. Januar 2017
DI – SA von 15 – 19 Uhr

Vernissage (und Kundgebung)
Freitag, 13. Januar ab 18 Uhr

Debatte (auf Französisch)
«art et espace public»
(Kunst und öffentlicher Raum)
DI, 17 Januar um 18 Uhr

Infos unter: http://syndicatpotentiel.free.fr
Anfragen unter: syndicatpotentiel@gmail.com

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