Wenn der Ausnahmezustand zur Normalität wird
Thomas de Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD) sind sich ausnahmsweise einig: Nach dem Anschlag von Berlin werden die Gesetze verschärft.
(KL) – Ebenso wie Frankreich nach den schlimmen Attentaten der letzten beiden Jahre krampfhaft versucht, die Sicherheit im Land zu erhöhen, dabei aber nicht viel mehr erreicht, als mit dem Ausnahmezustand, der seit November 2015 in Kraft ist, ein Klima der Angst als Dauerzustand zu etablieren, will sich auch die Politik in Deutschland nicht dem Vorwurf aussetzen, nicht angemessen reagiert zu haben. Dass die dabei getroffenen Maßnahmen vor allem zu immer tiefer werdenden Gräben und Brüchen in der Gesellschaft führen und nebenbei auch noch die Rechtsextremen fördern, das will kaum jemand sehen.
Der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri wird dabei gerne als Grund zitiert, warum nun die Schrauben schärfer angezogen werden müssen. Der Mann war als „Gefährder“ bekannt, er hätte längst in Abschiebehaft sitzen müssen und irgendwie lief bei dem Mann alles schief. Nur – welche der nun geforderten Maßnahmen hätte Amri stoppen können? Flächendeckende Videoüberwachung? Eine elektronische Fußfessel? Die „Residenzpflicht“ für abgewiesene Asylbewerber? Realistisch betrachtet hätte ihn keine dieser Maßnahmen von seinem mörderischen Vorhaben abhalten können. Ebenso wenig, wie ihn die Videokameras am Bahnhof Zoo gestoppt haben oder der Ausnahmezustand in Frankreich ihn daran gehindert hätte, seelenruhig das Land bis zur italienischen Grenze zu durchqueren und bis nach Mailand zu gelangen.
Die nun geplanten (und angesichts der Einigkeit der Parteien der Großen Koalition ziemlich sicher kommenden) Maßnahmen werden die Falschen treffen. Denn die eigentlichen Probleme liegen woanders. Die FAZ hat festgestellt, dass alleine in Deutschland 37 voneinander weitgehend unabhängig operierende Polizei- und Sicherheitsbehörden eine friedliche Koexistenz führen, ohne über die Schnittstellen zu verfügen, die eine effiziente Arbeit ermöglichen. Rechnet man jetzt noch die vielen verschiedenen Stellen in den anderen europäischen Ländern dazu, plus die Verständigungsprobleme zwischen diesen Behörden, dann erkennt man, dass die sinnvolle Bekämpfung des Terrorismus (und anderer krimineller Aktivitäten) eher eine strukturelle Herausforderung ist.
Terrorismus ist ein Phänomen, das keine einzelnen Länder betrifft, was man allerspätestens seit dem Anschlag von Berlin weiß. Der Terrorismus in Europa ist, so platt das klingt, ein europäisches Problem, das folglich auf europäischer Ebene gelöst werden muss. Die nach Anschlägen hektisch getroffenen Maßnahmen gelten vor allem uns, dem Wahlvolk. Kein Politiker möchte als „Weichei“ dastehen, das nicht reagiert. Also trifft man Maßnahmen, die publikumswirksam sind, wie die massive Militärpräsenz in Frankreichs Städten, die weder den Anschlag in Nizza, noch in einem kleinen normannischen Dorf verhindern konnte oder das Maßnahmenpaket, das nun von der Bundesregierung verabschiedet wird. Beides ist Augenwischerei und es war interessant, dass Innenminister Thomas de Maizière lediglich davon sprach, dass diese Maßnahmen die „Sicherheit erhöhen“ sollen. Der Minister weiß schon, warum er Begriffe wie „sicherstellen“ oder gar „garantieren“ nicht in den Mund nimmt.
Abgesehen davon, dass all diese Maßnahmen keinen zum Äußersten entschlossenen Attentäter von seinem Vorhaben abbringen können, ist der schlimmste Begleiteffekt, dass sie unsere Gesellschaften, ähnlich wie die USA nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001, in eine Art Hochsicherheitstrakt verwandeln, in dem Bürgerrechte im Handstreich einkassiert werden. Dabei wird gerne das Argument verwendet „wer nichts zu verbergen hat, der kann auch nichts gegen die Vollkontrolle haben“, doch dieses Argument ist falsch. Wie falsch, das erkennt man gerade in der Türkei, mit der wir so gerne zusammenarbeiten. Dort hat die Vollüberwachung erst ermöglicht, dass praktisch alle Regimegegner bereits vor (!) dem „Putsch“ so erfasst wurden, dass im Handumdrehen Zehntausende Oppositionelle verhaftet werden konnten. Bürgerrechte sind Elemente, die dem Schutz der Demokratie dienen und in den falschen Händen großes Unheil anrichten können. In Zeiten, in denen Rechtsextreme überall in Europa in Richtung Macht streben, ist dieser Umstand zumindest einer Überlegung wert.
Die Stimmung, die wir in den europäischen Ländern gerade aufbauen, ist hochexplosiv und gefährlich. Statt schrittweise in den einzelnen Ländern die Bürgerrechte abzubauen und ein Klima der Angst zu etablieren, würde es mehr Sinn machen, genau jetzt den Schritt hin zu „mehr Europa“ zu wagen, die strukturellen Probleme zu beheben und konsequent die Rahmenbedingungen zu nutzen, die es bereits heute gibt. Alles, was unüberlegt und unter dem Schock der Attentate beschlossen wird, trägt nur dazu bei, die Brüche, die bereits heute durch unsere Gesellschaften gehen, weiter zu vertiefen und unsere Länder in die Hände derjenigen zu treiben, die sowohl die Demokratie als auch den inneren Frieden gefährden. Nachdenken würde sich jetzt eher lohnen, als hektisch für die Galerie zu arbeiten.
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