Wenn der Brexit persönlich wird…
… dann zeigt er sein wahres Gesicht. Kalt, zynisch, undemokratisch und mit riesigen Problemen für die betroffenen Personen verbunden.
(KL) – Am Tag, an dem sich die europäischen Spitzenkräfte versammeln, um über den „Brexit“ zu beraten, ist es vielleicht an der Zeit, auch diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die unter den Konsequenzen zu leiden haben werden. Theresa May, Nigel Farage, Boris Johnson und die anderen, über die eines Tages die Geschichtsbücher schreiben werden, dass sie die Einheit Großbritanniens und Europas zerstört haben werden, werden mit den Konsequenzen nichts zu tun haben. Die Schreibtischtäter werden weiterhin in der Ersten Klasse reisen und sich einen Teufel darum scheren, was mit den Menschen passiert, die ihre dämliche Idee des „Brexit“ ausbaden müssen. Wie der in Straßburg lebende Paul Malone, Untertan Ihrer Majestät der Queen, der seit 27 Jahren in Frankreich lebt und zu den direkten Opfern des „Brexit“ gehört.
Paul Malone, Sohn einer europhilen Familie in Leeds, ist technischer Übersetzer und lehrt die Kunst der Übersetzung an der Universität Straßburg. Auch nach 27 Jahren in Frankreich fühlt sich Paul immer noch „very british“, doch der „Brexit“ wird unmittelbare Auswirkungen auf sein Leben haben. Interview.
Wie wird der „Brexit“ Ihr Leben beeinflussen?
Paul Malone: Ich kann eigentlich gar nicht richtig auf diese Frage antworten, denn ich weiß immer noch nicht genau, was der „Brexit“ genau bedeutet. Dabei beunruhigt mich sehr, dass die britische Regierung das auch nicht genau zu wissen scheint.
Macht es für Sie einen Unterschied, ob es sich um einen „harten Brexit“ oder einen vertraglich geregelten „Brexit“ handeln wird?
PM: Auch hierzu ist es schwer, eine Aussage zu treffen, da unklar ist, welche konkreten Auswirkungen diese unterschiedlichen Varianten haben werden. Ich habe keinerlei Informationen hierüber gefunden und ich habe immer mehr den Eindruck, dass die britische Regierung diese Auswirkungen genauso wenig einschätzen kann wie ich. Um ehrlich zu sein, ist es mit herzlich egal, ob es sich um einen harten oder einen vertraglich geregelten „Brexit“ handeln wird. Meine Haltung ist einfach: Der „Brexit“ darf überhaupt nicht stattfinden.
Es scheint, als hätten viele im Ausland lebende Briten nicht am „Brexit-Referendum“ teilnehmen können. Durften Sie mit abstimmen?
PM: Nein, ich durfte nicht abstimmen. Dies liegt an der 15-Jahre-Regel, die besagt, dass Briten, die länger als 15 Jahre im Ausland leben, nicht an in Großbritannien organisierten Wahlen oder Volksabstimmungen teilnehmen dürfen. Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen von dieser Regel betroffen sind, da die britische Regierung hierzu keine genauen Zahlen veröffentlicht. Der frühere konservative Regierungschef John Major ist der Ansicht, dass das Referendum nur 37 % einer Wählerschaft darstellt, deren Wahlkreise zu zugeschnitten wurden, dass das „Leave“ gewinnen konnte.
Und wie fühlen Sie sich in dieser Situation?
PM: Um ehrlich zu sein – ich bin stocksauer. Großbritannien war immer stolz auf seine demokratischen Traditionen. Doch wenn man einen Teil der Wählerschaft mit fadenscheinigen Gründen von einer solchen Abstimmung ausschließt, dann kann man das nicht mehr als demokratisch bezeichnen. Ich bin wirklich wütend und komme für mich zu dem Ergebnis, dass die sogenannte britische Demokratie nicht viel mehr als eine Illusion ist.
Glauben Sie, dass es noch eine Chance gibt, aus dem „Brexit“ auszusteigen? Beispielsweise durch das allerorten geforderte „Final-Say-Referendum“?
PM: Ein solches abschließendes Referendum könnte entweder das Ergebnis des ersten Referendums bestätigen oder aber ein anderes Ergebnis erbringen. Für mich wäre aber ein solches Referendum nur dann gültig, wenn ALLE britischen Bürger daran teilnehmen könnten. Beim Referendum 2016 waren aber nicht nur die von der „15-Jahre-Regel“ betroffenen britischen Bürger ausgeschlossen, sondern auch die in Großbritannien lebenden EU-Bürger. Die Wahlkommission der britischen Regierung ist zum Ergebnis gekommen, dass die Kampagne für den Brexit Vote Leave das Wahlgesetz gebrochen hat und verurteilte die Organisatoren zu einer Geldstrafe von £ 61,000 – warum annulliert man dann nicht das Ergebnis dieses Referendums, wenn es doch nicht legal war? Doch die britischen Behörden erzählen uns immer wieder, dass „das britische Volk für den ‚Brexit‘ gestimmt habe“ und dass man ihn deswegen durchziehen müsse. Doch ihre Definition des „britischen Volks“ ist nicht die meine. Persönlich bin ich der Ansicht, dass man das Ergebnis des Referendums 2016 annullieren und das ganze Vorhaben abblasen sollte.
Paul Malone wird keine Wahl haben – wenn er weiterhin in Frankreich leben, seinen Beruf ausüben und seinen Lebensplan weiterführen will, muss er die französische Staatsbürgerschaft beantragen, was er nie geplant hatte. Wenn Paul und die rund 1,8 Millionen im Ausland lebenden Briten (Schätzung des „The Independent“, die offiziellen Zahlen sind niedriger und liegen bei rund 750.000 betroffenen Personen, A.d.R.) beim Referendum 2016 wahlberechtigt gewesen wären, wäre der „Brexit“ wahrscheinlich abgelehnt worden. Nicht nur, dass Theresa May und Konsorten Großbritannien gefährden, sie vergewaltigen auch die Grundprinzipien der Demokratie. Was für ein Wahnsinn!
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