Wenn der Wahlsieger gleichzeitig der Verlierer ist…

Die Macron-Partei „Ensemble!“, aka „Renaissance“, aka „La République en Marche“ ist zwar die stärkste Partei im neuen französischen Parlament, verliert aber trotzdem die Wahlen.

Bye, bye, Alleinherrschaft - gestern fuhr Macron einen Erfolg ein, der in Wirklichkeit eine Niederlage ist. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Es mag seltsam klingen, doch der Wahlsieger der gestrigen Stichwahl der französischen Parlamentswahlen ist auch der große Verlierer dieser Wahl. Denn die sich hinter ständig wechselnden Namen versteckende Präsidentenpartei verliert ihre absolute Mehrheit im Parlament und wird künftig für ihre Politik Mehrheiten suchen müssen, was außerordentlich schwierig werden wird, nachdem der Alleinherrscher Macron in den letzten fünf Jahren nicht nur die französische Gesellschaft gespalten hat, sondern auch seine politischen Gegner, die er ab morgen brauchen wird, durch seine herablassende und arrogante Art verprellt hat. Die selbstherrliche Alleinherrschaft Macrons endete am gestrigen Abend und Frankreich steht vor einem politischen Scherbenhaufen.

Emmanuel Macron hatte, ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl, weitgehend auf einen inhaltlichen Wahlkampf verzichtet. Stattdessen hatte er die Franzosen aufgefordert, seine absolute Mehrheit zu erneuern, damit er weiterhin „durchregieren“ kann. Doch genau das haben ihm die Franzosen verweigert. Denn anders als Macron und seine Partei, haben die Franzosen die letzten fünf Jahre seines ersten Mandats nicht vergessen. Macrons Amtsführung, die eher derjenigen eines „Sonnenkönigs“ als der eines Präsidenten ähnelte, hat nicht nur dafür gesorgt, dass 54 % der Franzosen gar nicht erst wählen gingen, dass rund 70 % der Jungwähler Nichtwähler sind, sondern vor allem, dass fast zwei Drittel der Wählerschaft in die extremen Lager gewechselt sind. Bevor Frankreich politisch völlig an die Wand fährt, haben die Wähler dem Präsidenten die Alleinherrschaft aus der Hand genommen.

Gewinner der Wahl ist nicht etwa die stärkste Partei, „Ensemble!“, die eigentlich „Renaissance“ heißt und in Wirklichkeit „La République en Marche“ ist, die ungefähr 234 Sitze * erobert hat (und damit die absolute Mehrheit verliert, die bei 289 Sitzen liegt), sondern das linke Wahlbündnis „NUPES“, das auf 141 Sitze * kommt und das rechtsextreme „Rassemblement National“, das von 8 Sitzen auf 90 Sitze * springt. Umgekehrt sind einige der Verlierer der Wahl gleichzeitig die Gewinner. So kommt die Mitte-Rechts-Partei „Les Républicains“ mit ihren Partnern auf 75 Sitze *, fast 60 weniger als im letzten Parlament, doch haben die Konservativen damit ihren dramatischen Niedergang der letzten Monate stoppen können und werden im nächsten Parlament eine wichige Rolle spielen.

Für Macron wird es sehr schwierig werden, Mehrheiten bei denjenigen zu finden, die er jahrelang erniedrigt und beleidigt und zu keinem Zeitpunkt am politischen Geschehen beteiligt hat. So beeilten sich die Schwergewichte der Macron-Partei, wie Wirtschaftsminister Bruno Le Maire oder Justizminister Eric Dupond-Moretti zu erklären, dass ihre Partei den anderen „immer die Hand gereicht habe und dies auch weiterhin tun werde“. Nur, das hat diese Partei nie getan und deshalb ist diese Aussage kaum ernstzunehmen. Das Einzige, was man im Macron-Lager gestern Abend erstaunt festgestellt hat, ist dass die Franzosen ihnen die Alleinherrschaft aus der Hand genommen haben und dass die politischen Karten in Frankreich neu verteilt werden.

Wie sehr die Wahlgewinner der Macron-Partei abgewirtschaftet haben, erkennt man auch daran, dass zahlreiche Spitzenkräfte der letzten Legislaturperiode, wie der frühere Innenminister Christophe Castaner, sang- und klanglos abgewählt wurden, so, wie mehrere weitere Ministerinnen, die nun die Regierung nach nur 4 Wochen Amtszeit wieder verlassen müssen.

Ohne die sprichwörtliche Arroganz des französischen Präsidenten wäre durchaus denkbar, Koalitionen im Parlament zu schmieden, wie man es auch in anderen Ländern tut. Doch die fast einhelligen Kommentare der andere Parteien am Wahlabend lauteten, dass niemand Lust verspürt, eine abgehalfterte Regierungspartei durch „Absprachen“ über Wasser zu halten. Weder links noch rechts isst man gewillt, Macron an der Macht halten, zu jedem einzelnen Thema wird Macron um Mehrheiten kämpfen müssen und die übrigen Parteien werden ihn Mal ums Mal ins Leere laufen lassen.

Die „Macronie“ steht kurz davor, an sich selbst zu scheitern, da es sich praktisch keine andere Partei leisten kann, Macron bei seinem Versuch des Machterhalts zu unterstützen. So hörte man gestern Abend im „Ensemble!“-Hauptquartier einen Satz, der nichts Gutes verheißt: „Frankreich steht kurz davor, unregierbar zu werden“. In Zeiten der globalen Krisen ist das keine gute Nachricht, weder für Frankreich, noch für Europa, noch für die Welt.

Das endgültige Ergebnis wird erst im Laufe der Nacht feststehen und wird natürlich auf Eurojournalist(e) ausgiebig analysiert werden.

* Die endgültigen Zahlen werden erst im Laufe der Nacht feststehen. Allerdings werden eventuelle Veränderungen kaum Auswirkungen auf die großen Linien dieses Wahlabends haben.

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