Wenn eine Gewerkschaft die Bodenhaftung verliert…

Die französische Gewerkschaft CGT hat für den ganzen Monat April einen Streik im öffentlichen Dienst angekündigt. Weiß die CGT nicht, dass gerade Corona-Krise ist?

Momentan hat die CGT Öffentlicher Dienst 85.000 Mitglieder - wie viele davon nach der Corona-Krise wohl übrig sind? Foto: Jeanne Menjoulet from Paris, France / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Frankreich, ebenso wie der Rest der Welt, befindet sich gerade im Auge des Corona-Zyklons – täglich erkranken mehr Menschen, täglich verzeichnet man mehr Todesfälle, das Land ist mit einer Ausgangssperre belegt und versucht mit allen Mitteln, die Grundfunktionen des Staats aufrecht zu erhalten – Krankenhäuser, Polizei, öffentlich-rechtliche Sender, Müllabfuhr und einiges mehr. Dies ist besonders schwierig, weil natürlich auch im öffentlichen Dienst viele Menschen erkrankt sind und praktisch alle Dienste nur noch mit Notfallplänen arbeiten müssen, damit nicht alles zusammenbricht. Mitten hinein in die größte Krise seit dem II. Weltkrieg fällt der Gewerkschaft CGT Öffentlicher Dienst nichts besseres ein, als für den ganzen Monat April einen Streik im öffentlichen Dienst anzukündigen. Mit diesem, die aktuelle Situation völlig ignorierenden Streikvorhaben, dürfte die CGT Öffentlicher Dienst ihr eigenes Ende eingeläutet haben.

Es kann nicht Aufgabe einer Gewerkschaft sein, in einer existentiellen Krise des Landes zu versuchen, dieses endgültig abzuschießen. Die der Regierung überstellte Streikankündigung ist kein Akt im Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit, sondern eine Kriegserklärung. Gut möglich, dass die Regierung gar keine Antwort geben muss, sondern die Franzosen dies selbst erledigen – durch eine massive Austrittswelle aus einer Gewerkschaft, die sich selbst zum Feind Frankreichs erklärt hat.

Die Franzosen sind nun wirklich alles andere als blöd, auch, wenn die unsägliche Regierungssprecherin Sibeth Ndaye meint, ihnen erklären zu müssen, was gerade im Land passiert. Doch was gerade im Land passiert, das erfahren die 66 Millionen Französinnen und Franzosen auch so. Sie sind nämlich fast alle eingesperrt, bis auf diejenigen Helden der Situation, die mit riesigem Einsatz versuchen zu verhindern, dass das Land vollständig zusammenbricht. Dies betrifft einerseits die Versorgung der Bevölkerung, also alle Berufe, die mit dem Transport, der Verteilung und dem Verkauf von Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Produkten beschäftigt sind und dann, natürlich, den öffentlichen Dienst. Dieser ist bereits in vielen Bereichen auf das absolute Minimum heruntergefahren und droht nicht für unbegrenzte Zeit aufrecht erhalten werden zu können.

In einer solchen Situation die landesweite Solidarität aus Eigeninteressen zu hintergehen, wird die CGT Öffentlicher Dienst sehr teuer zu stehen kommen. Es herrscht eine stillschweigende Absprache zwischen allen Kräften der Gesellschaft, die Aufarbeitung der vielen, vielen Fehler der Regierung auf den Zeitpunkt zu verschieben, wenn diese Krise überstanden ist und das kann noch viele Wochen, ja Monate dauern. Dass die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen für die Franzosen schwere Kost sind, wen wundert’s? Premierminister Edouard Philippe hat bereits in Aussicht gestellt, dass die Franzosen auf eine Woche bezahlten Urlaub verzichten müssen, dass beim Wiederanlauf der Wirtschaft für eine Zeit in einigen Bereichen deutlich länger gearbeitet werden muss, dass alle am gleichen Strang ziehen müssen, um aus der sich abzeichnenden katastrophalen Lage wieder herauszukommen. Die CGT Öffentlicher Dienst täuscht sich allerdings, wenn sie meint, dass der Wiederanlauf der Wirtschaft in einige Wochen Opfer von allen verlangt, außer von ihren Mitgliedern.

Dabei geht es der CGT Öffentlicher Dienst nicht etwa um das Wohlergehen ihrer 85.000 Mitglieder (nur am Rande wird kritisiert, dass die Regierung das Management für Schutzmaterial ziemlich schlecht hinbekommen hat), sondern es geht ihr um Profilierung. Dass die kommenden Maßnahmen „undemokratisch sind und den Status der Arbeitnehmer gefährden“, ja, logisch, klar. Was erwartet die CGT Öffentlicher Dienst denn? Dass sie in einem Moment, in dem Frankreich wie andere Länder auch zusammenbricht, über kürzere Arbeitszeiten und Lohnerhöhungen diskutieren kann?

Dass die CGT Öffentlicher Dienst dem eigenen Land in den Rücken fällt, ist nicht nur zutiefst unmoralisch, sondern politisch geradezu dämlich. Aber das werden die Damen und Herren in ihrer Gewerkschaftszentrale vermutlich erst dann merken, wenn die meisten ihrer 85.000 Mitglieder ausgetreten sein werden. Und nein, das ist keine Fake News, das arrogante Schreiben der CGT Öffentlicher Dienst an drei Minister steht auf der Internet-Site der Gewerkschaft. Hoffen wir mal im Interesse der Gewerkschaftsbosse, dass die Franzosen ihrer Empörung über diese skandalöse Streikankündigung nur durch Austritte Luft machen werden.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste