Wenn man denkt, es wäre vorbei, dann ist es noch lange nicht vorbei
Während wir Deutschen uns in Europa so benehmen, als hätte es nie zwei Weltkriege gegeben, erinnern uns neue Funde daran, wie nah der Horror des deutsche Terrors noch ist.
(KL/CTN) – Vergessen sind Opfer von Gräueltaten und deren Täter erst dann, wenn niemand mehr an sie denkt. Diese Erfahrung macht man gerade in Straßburg, wo am Institut für Rechtsmedizin ein bedrückender Fund gemacht wurde. Denn dort lagerten sterbliche Überreste von Opfern der entsetzlichen „Experimente“, die der nicht minder entsetzliche Naziprofessor August Hirt während des II. Weltkriegs an 86 jüdischen Gefangenen aus dem KZ Struthof durchgeführt hatte. Und plötzlich wird aus einer Seite aus den Geschichtsbüchern wieder etwas furchtbar Reales, Greifbares und man erkennt, dass der Horror noch gar nicht so weit entfernt ist, wie viele das gerne hätten.
Die Gedächtnisarbeit zu diesen „Experimenten“ ist beispielhaft. Denn lange existierten diese 86 Opfer in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt nicht. Doch seit einigen Jahren beschäftigen sich Filmemacher, Medizinhistoriker und engagierte Vertreter der jüdischen Gemeinde in Straßburg mit der Frage, was mit den 86 passiert ist. So veröffentlichten die Filmemacher Emmanuel Heyd und Raphael Tolédano ihren bewegenden Film „Die Namen der 86“, in dem sie den Opfern ihre Identität zurückgaben.
Und plötzlich erinnert man sich, dass während des II. Weltkriegs die Universität Straßburg nach Clermont-Ferrand ausgelagert werden musste, dass an ihrer Stelle eine „Reichsuniversität“ étoffent wurde, an der linientreue Naziakademiker ihre kruden Theorien weiterentwickelten und lehrten. So auch Professor August Hirt, dessen „Experimente“ in der gleichen Perspektive anzusiedeln sind wie die eines Dr. Mengele.
Anfang des Jahres erschien dann das Buch von Dr. Cymes, das den Titel „Hippokrates in der Hölle“ (Hippocrate aux enfers) trägt und das sich unter anderem mit dem Rätsel des Verbleibs dieser 86 Opfer beschäftigt. Auf einmal lichtete sich der Nebel über der Affäre dieser 86 Opfer, die von Auschwitz ins Elsass gebracht wurden, dort Folterexperimente über sich ergehen lassen mussten, bevor sie im KZ Struthof vergast wurden, bevor sie dann zur „wissenschaftlichen“ Begutachtung an das Anatomische Institut der Reichsuniversität Straßburg überstellt wurden.
Dank intensiver Recherchen von Raphael Tolédano und anderen, wurden im Keller des Instituts Überreste von einigen der Opfer gefunden. Es handelt sich um einen Glasbehälter mit Hautfragmenten und um zwei Reagenzgläser mit Magen- und Darminhalt eines Opfers. Hirt injizierte seinen Opfern flüssiges Senfgas, was zu Brandwunden und heftigsten Schmerzen führte. Einige seiner Opfer starben sofort, andere erlitten tagelange Todesqualen und wer nach ein paar Tagen noch lebte, wurde im KZ Struthof vergast. All das im Namen einer „Wissenschaft“, deren einziges Ziel darin bestand, die Überlegenheit der deutsche Herrenrasse „wissenschaftlich“ nachzuweisen. Wahnsinn mit System.
Die Überreste der Opfer sollen nun würdevoll beigesetzt werden. Doch die Debatten werden weitergehen, so lange, bis der Verbleib aller 86 zweifelsfrei geklärt ist.
Vielleicht sollten wir Deutschen ab und zu daran denken, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass wir mehrmals versucht haben, der Welt zu zeigen, wie großartig das Deutschtum doch ist und dass wir nicht gezögert haben, diejenigen auf grausamste Weise auszurotten, die wir als „anders“ empfunden haben. Gerade heute, wo Deutschland eine Führungsrolle in Themen wie Griechenland, Flüchtlingspolitik und anderen innehat, sollten wir uns der besonderen Verantwortung gegenüber denjenigen bewusst sein, die wir bereits in der Vergangenheit gequält, erniedrigt und getötet haben. Dieser Gedanke sollte unser heutiges Handeln in Europa mit bestimmen und wir müssen verstehen, dass angesichts der knallharten deutschen Politik bei vielen Völkern Europas die Erinnerungen an diese Gräueltaten wieder hochkommen.
Der großartige Film vom Emmanuel Heyd und Raphael Tolédano wird übrigens noch einmal am Sonntag, dem 26. Juli, um 14 Uhr auf dem Sender „Alsace20“ gezeigt und kann im Stream angeschaut werden. Lohnenswert.
Kommentar hinterlassen