Wenn Telearbeit zur Norm wird

Seit einem Jahr begleiten wir die Universalschlichtungsstelle des Bundes in Kehl – ein Beispiel für die pragmatische Umsetzung des Konzepts der Telearbeit. Auch, wenn das nicht immer einfach ist.

In der USS in Kehl ist alles auf Hygiene und erfolgreiche Telearbeit eingestellt und - es funktioniert! Foto: USS / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Bereits beim ersten „Lockdown“ hat sich die Universalschlichtungsstelle des Bundes (USS) in Kehl durch eine sehr pragmatische Umsetzung des Konzepts der Telearbeit ausgezeichnet. Dabei sind die Umstände alles andere als einfach – ein guter Teil der Mitarbeiter*innen der einzigen Bundesagentur in Kehl lebt in Straßburg und somit gehört die USS zu denjenigen Organisationen, die einen „grenzüberschreitenden Lockdown“ erleben. Wie der verläuft, erklärt Felix Braun, der Leiter dieser Einrichtung. Interview.

Herr Braun, dies ist unser viertes Gespräch zum Thema Telearbeit. Hatten Sie damit gerechnet, dass es zu einem zweiten „Lockdown“ kommt?

Felix Braun: Gute Frage. In diesen Zeiten bekommt man immer wieder vor Augen geführt, wie wenig man sicher weiß. Einerseits sah der Sommer ja recht hoffnungsvoll aus, andererseits war immer von einer zweiten Welle zu hören. Und: Ganz weg war das Virus nun ja auch im Sommer nicht. Insofern habe ich persönlich einen zweiten Lockdown nie ganz ausgeschlossen, aber auch nicht als sicher angenommen. Nicht mehr und nicht weniger.

Waren Sie entsprechend vorbereitet?

FB: Ja, wobei wir in mehrfacher Hinsicht mehr Glück als andere Institutionen und Betriebe haben, was man einmal ganz dankbar feststellen sollte. Unsere vorwiegend schriftliche Arbeit lässt sich vergleichsweise gut von zuhause aus erledigen und wir haben nun schon durchgehende Erfahrung damit seit Mitte März. Denn ganz hatten wir das „Home Office“ auch im Sommer nie aufgegeben und uns so organisiert, dass im Büro maximal eine Person pro Raum sitzt, welcher wiederum ein öffenbares Fenster haben und ausreichend gelüftet werden muss. Insofern sind wir einspielt, haben aber auch gute Rahmenbedingungen.

Welche Unterschiede gibt es in Ihrer Organisation der Telearbeit im Vergleich zum ersten „Lockdown“ oder funktioniert alles wie bisher?

FB: Im Frühjahr hatten wir teils eine Notbesetzung von einer Person pro Tag im Büro, der Rest im „Home Office“ – weil man noch weniger über die Verbreitungswege des Virus wusste und daher auf maximale Prävention bei uns geachtet wurde. Jetzt sind wir zu mehreren im Büro, aber selbst im Verhältnis zum Sommer ausgedünnt, d.h. nicht mal jedes Zimmer mit öffenbarem Fenster ist besetzt. Manche Arbeiten lassen sich aber besser und effizienter im Büro erledigen, deshalb also eben nicht mehr die bloße Notbesetzung, dafür viel Hygiene und Maskenpflicht, sobald man eigenen Schreibtisch verlässt. Und wir haben zum Beispiel mit Webcams und Headsets aufgerüstet, um sich bei Bedarf auch immer sehen zu können und leichter Kontakt zu halten.

Gibt es spezielle Probleme dadurch, dass die Hälfte ihrer Mitarbeiter*innen in Straßburg lebt und normalerweise zum Arbeiten nach Kehl pendelt?

FB: Von Problemen würde ich nicht reden. Aber es kostet einfach Zeit, die Sach- und Rechtslage in beiden Ländern zu verfolgen. Die Mitarbeiter*innen müssen zum Beispiel die nötigen Formulare von ihrem Arbeitgeber bekommen, um von ihrer Wohnung im Elsass ohne Problem ins Büro nach Kehl kommen zu können. Verordnungen werden hüben und drüben angepasst, dass muss man im Auge behalten. Klar, das sind alles Kleinigkeiten. Aber es sind viele Kleinigkeiten. Doch das ist auch absolut in Ordnung so, die Situation ist eben dynamisch und es ist wichtig, alles zu tun, damit wir diese Pandemie mit möglichst geringem Schaden hinter uns lassen – als Individuen und als Gesellschaft.

Wie erleben Ihre Mitarbeiter*innen diesen erneuten „Lockdown“ – ist es möglich, trotz hoher psychologischer Belastung ein „normales“ Arbeitspensum zu erledigen?

FB: Da müssten Sie eigentlich ein Interview mit meinem Team machen. Was ich aber definitiv sehe, ist, dass die Arbeit in keiner Weise vernachlässigt wird, im Gegenteil, wir haben in diesem Jahr mehr Anträge als je zuvor bearbeitet. Da duckt sich niemand weg, das ist großartig. Und ich erlebe auch, dass alle nicht nur an sich denken, sondern im Gegenteil auch überlegen, was anderen im Team die Arbeit leichter machen könnte. Mir war es auch ein besonderes Anliegen, ein Feedback von allen einzuholen, um ein Konzept zu finden, dass zwar allen arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen gerecht wird, aber dabei soweit wie möglich auch die Arbeit so angenehm es geht für alle macht und auf individuelle Bedürfnisse dort eingeht, wo dafür Raum ist. Vertrauen und Offenheit sollten eben in alle Richtungen gehen, das gilt in einer Krise ganz besonders. Und es ist eine der sehr schönen Seiten dieser Krise zu merken, dass es klappt. Hut ab und Dankeschön von mir.

Wie lange wird dieser neue „Lockdown“ Ihrer Meinung nach andauern und gibt es heute bereits Elemente in Ihrer Arbeitsorganisation, die Sie auch nach der Aufhebung des „Lockdowns“ beibehalten werden?

FB: Über das Ende möchte ich nicht spekulieren, so lange wie es eben notwendig ist, sollen der „Lockdown“ oder sonstige Maßnahmen in adäquatem Maße eben dauern, um sich nicht von einer Welle zur nächsten zu hangeln.

Es wird Elemente unserer Arbeitsweise geben, die die Pandemie überdauern werden, und alle im Team sind angehalten, sich darüber heute schon Gedanken zu machen. Dann werden wir beizeiten darüber diskutieren und schauen, was sinnvoll ist. Denn die eine oder andere Flexibilisierung mag einem nicht nur persönlich, sondern auch unserer Arbeit guttun. Wenn mehr Wohlbefinden Hand in Hand mit qualitativer Arbeit geht, warum sollte man sich dagegen sperren? Wir haben aber meines Erachtens auch alle gemerkt, dass das Büro doch ein verdammt wohltuender, zentraler Ort ist, der erst Raum für zufällige Begegnungen an der Kaffeemaschine schafft, in dem Ideen gedeihen, die uns und unsere Arbeit weiterbringen. Diese spontanen Impulse fehlen bei Video- oder Telefonkonferenzen.

Herr Braun, vielen Dank für das Gespräch!

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