Wer europäische Werte retten will, sollte mit Julian Assange anfangen

Momentan wird viel von „europäischen Werten“ gesprochen, die anderswo verteidigt werden müssen. Dabei sehen wir seelenruhig zu, wie die Briten die Grundfeste der Demokratie verraten.

Was an diesem einfachen Satz verstehen die europäischen Politiker nicht? Foto: Johannes Sebastian Agilo Müller / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Amerikaner und die Briten freuen sich. Die Aktualität rund um den Ukraine-Krieg, die Pandemie und die soziale Verelendung haben ein Thema von der Bildfläche verschwinden lassen, bei dem ganz Europa jämmerlich schlecht aussieht – die völlig ungerechtfertigte Inhaftierung von Julian Assange, der seit über 11 Jahren in Gefangenschaft lebt, weil er die Weltöffentlichkeit über amerikanische Kriegsverbrechen informiert hat. Die Ruhe um Julian Assange kommt seinen britischen und amerikanischen Peinigern sehr entgegen – so wird man eines Tages in einer Randnotiz erfahren, dass die Briten den bekanntesten Whistleblower der Welt still und heimlich an die USA ausgeliefert haben werden, wo ihn eine 175jährige Gefängnisstrafe erwartet, was einem Todesurteil gleichkommt.

Was sind wir doch für Gutmenschen, die gerade in der Ukraine die „europäischen Werte“ verteidigen! Es würde allerdings Sinn machen, diese „europäischen Werte“ einmal zu definieren. Was meint man damit? Die institutionelle europäische Korruptions-Kultur? Die permanente Rettung der „Märkte“ und des Großkapitals? Die persönliche Bereicherung der Mächtigen in Wirtschaft und Politik? Die Verelendung von rund 20% der europäischen Bevölkerung, die notwendig ist, damit die Milliardäre weiter ihre Vermögen vervielfachen können? Den Durchmarsch der Rechtsextremen oder das Aushebeln des Parlaments in „demokratischen“ Staaten Europas? Oder meint man am Ende tatsächlich die Menschenrechte, die Demokratie, die Pressefreiheit?

Niemand weiß mehr, was diese „europäischen Werte“ eigentlich sein sollen. Doch der russische Angriffskrieg erlaubt es, die Welt schwarz/weiß zu sehen. Wir im Westen sind die „Guten“, der Rest der Welt sind die „Bösen“. Dass wir uns selbst manchmal wie die „Bösen“ verhalten, das verschweigen wir lieber.

Julian Assange ist nie in den Genuß einer konzertierten Aktion der westlichen, oder zumindest der europäischen Politik gekommen. Nicht nur, dass der Whistleblower zu keinem Zeitpunkt von Europa geschützt wurde; nicht nur, dass Europa weggeschaut hat, als die Entführungs- und Mordpläne der CIA gegen Julian Assange bekannt wurden; nicht nur, dass niemand reagiert hat, als Schweden nach acht Jahren klammheimlich die konstruierten Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange fallen ließ, als klar wurde, dass es diese „Vergewaltigungen“ nie gegeben hatte; nicht nur, dass kein europäischer Politiker und keine europäische Institution Großbritannien unter Druck setzte, da Assange ein rechtsstaatlicher Prozess verweigert wurde; nicht nur, dass die europäische Politik zum Bericht des UNO-Beauftragten Nils Melzer geschwiegen hat, der aufzeigte, dass Julian Assange im Hochsicherheits-Gefängnis Belmarsh bei London Folter erleidet, nein, all das reicht noch nicht – die EU hat zu keinem Zeitpunkt bei der britischen Regierung interveniert, um diesen schändlichen, politischen Schauprozess zu beenden und Julian Assange freizulassen.

Wenn die „europäischen Werte“ beeinhalten, dass man die Pressefreiheit abschafft, dass man rechtsstaatliche Prinzipien über den Haufen wirft, dass man die Menschenrechte außer Kraft setzt, weil es unseren amerikanischen „Freunden“ in dem Kram passt, Assange zu Tode zu quälen, dann sind diese Werte eigentlich nichts, was man in der Ukraine verteidigen müsste.

Na klar, in mehreren Ländern wurden in den letzten 10 Jahren Gesetze „zum Schutz von Whistleblowern“ verabschiedet und die jeweils zuständigen Politiker wurden nicht müde, sich selbst für diese Gesetze zu feiern. Diese Gesetze sind allerdings das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, da sie in der Praxis eher diejenigen schützen, die sich vor Whistleblowern fürchten. Und keiner dieser selbsternannten „Beschützer von Whistleblowern“ hat es für nötig befunden, in irgendeiner Form für Julian Assange aktiv zu werden. Man will es sich ja nicht mit den Amerikanern verderben, von denen wir immer noch glauben, dass sie die „Guten“ sind.

Europa würde an Glaubwürdigkeit gewinnen, einem Konzept, das die europäischen Institutionen längst verloren haben, würde man verhindern, dass Julian Assange in den sicheren Tod in die USA ausgeliefert wird. Wir können Sanktionen gegen Russland verhängen, gegen den Iran, gegen Nord-Korea, aber nicht gegen Großbritannien? Weil deren Verletzungen der Menschenrechte „besser“ sind als diejenigen in den Ländern, die wir als Schurkenstaaten bezeichnen?

Sollte Julian Assange tatsächlich in die USA ausgeliefert werden, wäre das der Anfang vom Ende der Europäischen Union. Denn wenn sich diese tatsächlich wie ein „Schurkenstaat“ verhält, gibt es keinen Grund mehr, die EU weiter in ihrer Imperfektion zu verteidigen. Die Zukunft Europas entscheidet sich nicht etwa anhand von Panzerlieferungen, sondern am Verhalten Europas selbst. Und momentan ist Europa dabei, sich selbst überflüssig zu machen.

Freiheit für Julian Assange, Schutz der Pressefreiheit, Sanktionen für Menschenrechtsverletzungen auch innerhalb der EU!

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