(19) Summer Best Of – „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei!“

Diesen Satz, gesagt im Überschwang seines damaligen Wahlsiegs bei der OB-Wahl in der Türkei, dürfte Recep Tayyip Erdogan heute bereuen. Denn in Istanbul zeigen ihm die Türken seine Grenzen auf.

Ekrem Imamoglu hat gut lachen - er ist der erste doppelt gewählte Bürgermeister von Istanbul. Foto: ScS EJ

(KL) – Damit musste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rechnen. Nach der skandalösen Annullierung der OB-Wahl in Istanbul, bei der sich der Kandidat der CHP Ekrem Imamoglu knapp gegen den AKP-Kandidaten Binali Yilderim durchgesetzt hatte, bekam Erdogan nun die Quittung – auch bei der staatlich verordneten Neuwahl gewann Imamoglu erneut, dieses Mal allerdings mit einem deutlichen Vorsprung. Es ist, als sei die Demokratie in der Türkei wieder aufgewacht.

Die ersten Ergebnisse, die von der staatlichen Nachrichtenagentur „Anadolu“ bekannt gegeben wurden, waren eindeutig. Mit 53,75 % gewann Ekrem Imamoglu deutlich vor dem Erdogan-Kandidaten Binali Yildirim. In einer ersten Reaktion sagte Imamoglu, dass dieser Erfolg ein Neuanfang für die Türkei sei, was angesichts der überragenden Bedeutung der Millionen-Metropole am Bosporus keine Übertreibung ist. Denn die Wählerinnen und Wähler in Istanbul haben Erdogan aufgezeigt, wo die Grenzen sind. Und dass sie nicht länger bereit sind, dem Aushebeln demokratischer Grundregeln tatenlos zuzusehen.

Erdogan wäre besser beraten gewesen, hätte er die erste Wahlschlappe seines Kandidaten zähneknirschend hingenommen. Dass er unter höchst fadenscheinigen Begründungen diese Wahl wiederholen ließ und damit das Votum der Wählerinnen und Wähler ignorierte, hat ihn nicht nur viel Vertrauen, sondern eben auch die Stadt Istanbul gekostet. Und von hier aus könnte es gut sein, dass das Ende der Ära Erdogan eingeläutet wird.

Seit dem „Putsch“ und der Einrichtung eines präsidialen Machtsystems um Recep Tayyip Erdogan herum, geht es mit der Türkei abwärts. Hunderttausend Entlassungen im öffentlichen Dienst, Zehntausende Verhaftungen, Schauprozesse und eine Art moderner Totalitarismus haben dazu geführt, dass die Türkei immer weiter isoliert wurde, Inflation und Arbeitslosigkeit galoppieren und viele Türken das Vertrauen in ihren Staat verloren haben. Und all das rächt sich jetzt – auf demokratische Art und Weise.

In der Tat, es ist wie eine Rückkehr zur Demokratie, zeigt aber gleichzeitig einen deutlichen Bruch zwischen der urbanen und der ruralen Türkei. Während sich die Rathäuser der großen Städte mittlerweile fast alle in den Händen der oppositionellen CHP befinden, hat Erdogan seine Machtbasis immer noch in den riesigen ländlichen Gegenden und in der türkischen Diaspora, wo die nationalistischen Parteien seit jeher eine starke identitätsbewahrende Funktion hatten und haben und Erdogans AKP zuletzt bis zu 70 % der Stimmen holen konnte.

Noch am Wahlabend streckte der doppelt gewählte Bürgermeister Ekrem Imamoglu den politischen Gegnern die Hand hin und kündigte an, möglichst bald Erdogan treffen zu wollen, um die vielen Probleme der Metropole am Bosporus zu besprechen. Bewusst sachlich verzichtete er auf Sätze wie „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“. Die musste er auch gar nicht sagen, wo doch jeder weiß, dass der Satz stimmt.

2 Kommentare zu (19) Summer Best Of – „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei!“

  1. Jacques Holzscherer // 26. Juni 2019 um 2:15 // Antworten

    Tel est pris qui croyait prendre ! Le dictateur n’a pas été très malin de faire annuler par tous les moyens l’élection précédente. Il a perdu encore plus de voix.
    Très bonne analyse !

    • Eurojournalist(e) // 26. Juni 2019 um 9:22 // Antworten

      Oui, Jacky, on verra comment les choses vont se décanter. Je crains que le sultan du Bosphore nous réserve encore des surprises. Et pas des meilleures…

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