Wer könnte schon wie Orpheus singen? Ein erneuter Versuch in der Rheinoper

Eine konzertante Version einer der ältesten Opern führt uns am Dienstag in Straßburg und am Mittwoch in Mülhausen in die Unterwelt – und damit in die tiefsten Sphären des menschlichen Seins, die gleichsam seine höchsten sind.

Orpheus singt und sinkt. Vermag nur ein Spieglein an der Wand ihm offenbaren, dass er nicht alles erreichen kann, was er möchte... Foto: Grafik von M. Grandjouan / OnR

(Michael Magercord) – Gibt es einen unzeitgemäßeren Ort als die Oper? Alte Libretti und alte Musik, die sich seit ihrer Entstehung kaum verändert haben. Und so manches Mal finden diese alten Werke ihre Wurzeln in noch älteren Geschichten, irgendwas aus den Untiefen der Antike mit Göttern und anderen Wesen, die nicht mehr ganz aus Fleisch und Blut sind. Wenn dann auch eine der ältesten Oper überhaupt erklingen wird, die uns in die Unterwelt führt, mit der wir in unseren modernen Zeit doch eigentlich innerlich abgeschlossen hatten – was ist davon noch zu erwarten? Alles!

Also fast alles, alles nämlich, was nur eine unzeitgemäße Kunstform uns noch vermitteln kann. Und dazu noch all das, was im Grunde jede Geschichte, ob uralt oder brandneu, immer wieder aufs Neue erzählt. Warum also nicht noch einmal die gute alte Story von Orpheus, der seine an einem Schlangenbiss verstorbene Geliebte aus dem Totenreich zurückholen will oder mit ihr dort verbleiben möchte. Allerdings verwehrt Kerberos den Eingang zur Unterwelt. Doch Orpheus greift zum äußersten Mittel: Mit dem Gesang seiner göttlichen Stimme verstummt das Bellen des Höllenhundes. Unten angekommen, stellt der Gott Hades ihm eine Bedingung. Er kann seine Freundin wieder in die Oberwelt mitnehmen, sie soll ihm hinterhergehen, doch darf sich Orpheus beim Aufstieg nicht nach ihr umdrehen – wird das gutgehen?

Diese Geschichte des außergewöhnlichen Sängers hat die Musikwelt über dier Jahrhunderte immer wieder in den Bann gezogen, ob Willibald Gluck oder Jacques Offenbach, Hans Werner Henze oder Philipp Glass. Wer soviel Aufmerksamkeit erfährt wie Orpheus, der muss doch was mitzuteilen haben und mit seiner Geschichte etwas in Bewegung bringen. Den Anfang machte Monteverdi, sein Orpheus erblickte im Jahr 1607 das Licht der Opernbühne und gilt sogar als erste Oper überhaupt. Sein Libretto beginnt mit einem kommentierenden Chor über die Selbstvernichtung eines ambitionierten Menschen durch seine Unfähigkeit, den Wechsel von Glück und Unglück als unvermeidliches Erdenschicksal mit Fassung zu ertragen – womit gleichsam die Unfähigkeit einhergeht, seine eigene Natur zu besiegen.

Doch Orpheus wird in die Unterwelt absteigen, um sich gegen das Schicksal zu streben. Er wird an der am Höllentor eingemeißelten Botschaft „Lasst alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr eintretet“ achtlos vorbeieilen. Und immer wieder werden auf seinem Weg die Sphären des Lebens und des Todes auch musikalisch miteinander wetteifern, die lieblichen Streicher und Blockflöten für das eine, die drohenden Posaunen für das andere. Wer behält die Oberhand? Orpheus wird in der Unterwelt schließlich scheitern. Denn einmal wird er sich auf seinem Rückweg nach oben nach seiner Liebsten umdrehen, und schon entschwindet die schöne junge Frau für immerdar im Totenreich. Immerhin: sein eigener Untergang wird abgewendet. Allerdings nicht mit einem Sieg über den Tod, sondern mit der Einsicht in die Aussichtslosigkeit, dem Tod entgehen zu können. Ein gutes Ende? Oder eher ein Grund zur tiefen Depression über die Sinnlosigkeit des irdischen Seins, wo kein Glück von Dauer ist? Der Chor hat die passende Antwort parat: Ewigen Ruhm verdient nur, wer sich selbst besiegt. Genau das wird Orpheus nun vollziehen und um des Lebens willen den Tod seiner Liebsten akzeptieren. Und in der Sonne und den Sternen wird er vorderhin die Schönheit seiner Geliebten erblicken.

Na schön, das mag ja 1607 noch gerade so als Botschaft an die Menschen im des Frühbarocks funktioniert haben, aber wie sollte so eine passive und hinnehmerische Haltung heute noch als edel und fein durchgehen? Heutzutage, wo wir doch alles meinen selbst bestimmen zu können. Und wer’s nicht hinkriegt, hat’s halt falsch angepackt. Selbst schuld! Und die Hoffnung fahren lassen? Niemals! Die stirbt ja heutzutage bekanntermaßen zuletzt. Am jüngsten Tag erst wird sich in das Unvermeidliche gefügt, keine Sekunde früher. Allerdings sind wir in den jüngeren unserer Tagen doch des Öfteren wieder an die tragische Macht des Schicksals erinnert worden, sei es durch ein Virus oder nun wieder durch Krieg – als hätte der Klimawandel dazu nicht genügt.

Wobei es sich bei den beiden letzten Herausforderungen an unsere moderne Seele um menschengemachte Katastrophen handelt – ob dann die Aufforderung zu einem gelassenen Sich-Fügen ins Unvermeidliche auch gilt? Oder könnte uns die unzeitgemäße Botschaft nun noch daran erinnern, dass es erst die Unfähigkeit der Akzeptanz der natürlichen Grenzen unseres Handlungsspielraums war, die uns dahin gebracht hat, dass wir nun fast unlösbaren Dilemmata ausgesetzt sind? Ist der Mensch einfach ein tragisches Wesen, das das Gute will und doch das Böse schafft, so bald er vor lauter Tatendrang wieder einmal vergessen hat, dass gutgemeint das Gegenteil von gut ist?

Oh je, es wird auf jeden Fall tragisch enden. Was tun? Vielleicht einfach mal abwarten, welche Botschaften sich bei uns noch verfangen, wenn uns der süße Sang des Orpheus ins Ohr säuselt…

L‘Orfeo
Oper von Claudio Monteverdi aus dem Jahr 1607
Konzertante Aufführung

Dirigent: Leonardo García Alarcón
Ensemble Cappella Mediterranea
Kammerchor von Namur

Straßburg – Opéra
DI, 3. Mai, 20 Uhr
Mülhausen – La Filature
MI, 4. Mai, 20 Uhr

Informationen und Tickets: www.operanationaldurhin.eu

Weitere Veranstaltung:

Lyrische Stunde „Die Jahreszeiten“

Künstler des Opernchors singen Lieder zwischen Operette und Chanson
SA, 14. Mai, 11 Uhr Opera Straßburg

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste