Wer rettet uns eigentlich vor dem Abendland?

Tschechien richtet „Konzentrationslager“ ein, Europa baut Zäune und Mauern, die Rechtsextremen sind in vielen europäischen Ländern auf einem gewaltigen und gewalttätigen Vormarsch. Wer rettet uns vor dem braunen Sumpf?

Wer rettet uns vor den selbsternannten "Abendlandrettern", die Europa ins nächste Unglück stürzen? Foto: E. Duerselen / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Die politische Rhetorik, die gerade durch ganz Europa zum Thema der Flüchtlinge wabert, wird unerträglich. Und dumm obendrein. Das beste Beispiel für einen solchen Diskurs kommt gerade ausnahmsweise nicht aus Ungarn, wo man sich an die menschenverachtenden Sprüche und Handlungen des sich selbst stolz als „Antidemokraten“ bezeichnenden Viktor Orbán inzwischen schon fast gewöhnt hat, nein, dieses Mal kommen sie aus unserem Nachbarland Tschechien. Und man muss sich die Frage stellen, ob in Tschechien seit zwei Generationen der Geschichtsunterricht ausgefallen ist. Denn das, was der tschechische Präsident Milos Zeman aktuell verbreitet, ist mit dem Begriff „geistig minderbemittelt“ nur noch unzureichend beschrieben.

In einem Land mit einem Ausländeranteil von 4 %, das dieses Jahr gerade einmal 1115 Asylanträge zu bearbeiten hatte, davon zu sprechen, dass „die Scharia ins Land getragen wird“ und damit die Gefahr bestünde, dass „künftig untreue Ehefrauen gesteinigt würden“, das ist dann doch mehr als abenteuerlich. Es wäre sogar geradezu witzig, würden diese und ähnliche Aussagen nicht als Rechtfertigung dafür angeführt, dass ausgerechnet Tschechien, ein Land, das sowohl unter den Nazis als auch unter der russischen Besatzung so sehr gelitten hat, nun eine Art „Konzentrationslager“ für Flüchtlinge eingerichtet hat, in denen diese unter Bedingungen leben müssen, die selbst die tschechische Menschenrechtsbeauftragte Anna Sabatova als „schlechter als in tschechischen Gefängnissen“ bezeichnet. Die nicht gerade für überbordenden Luxus bekannt sind.

Und alle, von den geistig etwas verwirrten Pegida-Demonstranten über die strammen Rechtsextremen von Front National, Jobbik und den vielen anderen, tönen gerade herum, dass sie „die Werte des Abendlandes“ verteidigen wollen. Ja, was sind denn das für Werte? Etwa diejenigen, die einst der Boxer Rocky Gracciano mit „Fic…., fressen, fernsehen“ definierte? Sind es wirklich europäische Werte, Lager für unschuldige Menschen einzurichten, wo die Insassen, deren Verbrechen darin besteht, dass zu zufälligerweise dort lebten, wo die Weltmächte einen Stellvertreterkrieg führen, damit wir unsere Waffenindustrie stützen können, nachts aus ihren Baracken zum Appell gezerrt werden? Solche Handlungsweisen mögen zum schlimmsten Teil der europäischen Geschichte gehören, doch zu den „europäischen Werten“ zählen sie sicher nicht.

Dieses Abendland, das sich dem Rest der Welt so unendlich überlegen fühlt, für das auch diese Woche wieder Tausende Menschen mit dämlichen Parolen durch die kühle Novembernacht ziehen werden, dieses Abendland, in dem auch diese Woche wieder Flüchtlingsheime brennen und Menschen angegriffen werden, dieses Abendland, das in seiner Geschichte keine Gelegenheit ausließ, Andersdenkende und Andersgläubige weltweit zu unterjochen, zu ermorden und auszubeuten, dieses Abendland wurde erst in dem Moment liebens- und lebenswert, als am Oberrhein der Rheinische Humanismus das Licht der Welt erblickte. Auf diesem basiert das, was wir heute die „europäischen Werte“ nennen, die gerade europaweit mit Füssen getreten werden.

Die Gefahr für Europa sind nicht die Flüchtlinge, die aus den Kriegsgebieten zu uns kommen, die Gefahr für Europa sind die Ultranationalisten, deren Ideologien diesen Kontinent und die ganze Welt Jahrhunderte lang von einem mörderischen Krieg in den nächsten gehetzt haben. Vor diesen „Abendlandrettern“ müssen wir uns schützen, nicht etwa vor den Flüchtlingen.

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