Werden Märchen doch noch wahr? Auf zum nächsten Versuch…

Die kulturellen Institutionen nehmen in Straßburg wieder ihren Betrieb auf – zumindest planen sie wieder große Aufführungen für die Zeit nach dem 15. Dezember. Oper, Theater und Orchester hoffen auf den Vorweihnachtsmann – und wir auch...

Straßburger Kulturprogramme für die Saison 20/21 - Märchenbücher oder wird es doch noch wahr? Foto: MM/EJ / CC-BY-SA 4.0int

(Michael Magercord) – Es wird einmal… ja, so märchenhaft muteten im Frühjahr all die dicken Programmhefte an, worin die großen Kulturinstitutionen ihre Vorhaben für die kommende Saison 2020/2021 kundtaten. Klar, die Welle des Coronavirus war gerade im Abschwappen, da ließen sich – endlich – wieder Pläne schmieden. Oper, Theater und Konzerte – auch in Straßburg sollte uns Vieles geboten werden.

Und tatsächlich: Im September wurde uns auch Vieles geboten. Wie gerne erinnert man sich trotz Mund-und-Nasenbedeckung noch an die hochromantische Solveig im Videokäfig und den nahezu perfekt als TV-Serien-Parodie getarnten Bibelthriller „Samson und Dalila“ in der Rheinoper. Oder an die Wiederaufnahme des Mahler-Zyklus durch die Philharmonie inklusive Geburtstagsvorfeier für Beethoven. Oder an die biegsamen Plattenbaubewohner in der Choreografie von Sasha Waltz, stilecht vorgeführt im rabenschwarzen Plattenbau des Maillon-Theaters… Dann aber kam die zweite Welle und die zweite Delle: Aus für die Kultur und die Programmhefte wurden zur Märchenlektüre.

Doch nun sollen die Märchen wieder wahr werden! Ab Mitte Dezember werden die Spielstätten und Konzertsäle wieder öffnen und ihr Publikum begrüßen dürfen! Vorhang auf und dann heißt es endlich wieder: Es war einmal…

Denn ja, in Rheinoper von Straßburg wird sogleich eine echte Märchenstunde erfolgen: Los geht’s nämlich am 17. Dezember mit „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck – und klingt nicht allein schon der Name des Komponisten nach einem Märchenonkel? Doch trotz aller vermeintlichen großmutterhaften Beschaulichkeit ist die Musik des langjährigen Assistenten von Richard Wagner so gar nicht kindisch, und die triste Geschichte im Grunde ja auch nicht: Vor lauter Hunger ausgesetzte Kinder verirren sich im Wald zu einer bösen Hexe, die sich daran machen will, den Hänsel zu verspeisen.

Man muss der Straßburger Oper zugutehalten, dass zu Zeiten dieser Programmplanung von Corona noch keiner wissen konnte. Was aber schon damals bekannt war: Es ist nun ja auch noch Vorweihnachtszeit. Üblicherweise also die Zeit, in der sich auf dem Weihnachtsmarkt die Massen drängeln und in den umliegenden Konsumtempeln die Umsatzrekorde Jahr für Jahr aufs Neue eingestellt werden. Immerhin, das bleibt uns nun erspart und eigentlich ist es ja auch so ganz schön in Straßburg, doch nun wird ausgerechnet auf der Bühne dem Konsum ein Märchen erzählt: Denn der Hunger von Hänsel und Gretel ist dort „der unstillbare Hunger nach Konsum“, wie uns der Regisseur Pierre-Emmanuel Rousseau auf die diesjährige Straßburger Weihnachtsoper einstimmt, und die moderne Hexe haust in dieser Konsumgesellschaft nicht im Wald, sondern betreibt einen Freizeitpark. Und sie gedenkt auch nicht, den Hänsel zu verspeisen, sondern ihre eigene, ungezügelte Fleischeslust an ihm zu stillen.

Märchen sind nun mal nichts für Kinder, wenn sie von sogenannten Erwachsenen für sogenannte Erwachsene erzählt werden. Und so raten die Opern-Verantwortlichen denn auch, die Kleinen unter zehn Jahren besser nicht mit ins Opernhaus zu nehmen – was umso schwerer wiegt, da doch die Version des Märchens, die für Kinder gedacht ist, in Straßburg wegen Corona nicht mehr zu Aufführung kommt, in Mülhausen und Colmar allerdings dürfen die Kleinen um „Gretel und Hänsel“ zittern und sich schließlich mit ihnen freuen.

Beinahe ein Corona-Opfer wäre auch Ludwig van Beethoven geworden. Doch nun kann die Straßburger Philharmonie am 15. Dezember den fast exakten 250. Geburtstag des Jubilars mit einem Konzert im Salle Ponnelle gebührend begehen – wenn auch in kleiner, kammerorchestlicher Besetzung. Weiter geht es für den größten Klangkörper der Stadt dann erst wieder wie geplant mit den Silvester- und Neujahrskonzerten. Die „Farben New Yorks“ werden den Jahreswechsel begleiten – statt Feuerwerk also Wayne Marshall am Taktstock und Klavier mit Bernstein, Gershwin und Ellington. Einen guten Vorsatz gibt es auch schon: Die für den Beginn des Dezembers geplanten Geigenkonzerte Mozarts mit David Grimal werden im neuen Jahr am Anfang Februar nachgeholt.

Auch auf den Sprech- und Kleinkunstbühnen geht es gleich wieder los: im Straßburger Nationaltheater TNS am 15. Dezember mit dem gewichtigen Klassiker „Phèdre“ von Jean Racine, und im Maillon wird am 16. Dezember der Zwei-Frauen-Zirkus als „l’oisseau-lignes“ vor einer Schiefertafel in die Lüfte gehen.

Endlich wieder Abheben: Es wird wieder… Doch halt! Einen kleinen Vorbehalt gibt es nämlich noch, denn mal abwarten, was uns der große Zauberer aus Paris an den Iden des Dezembers noch zu erzählen hat in einer dieser ganz besonderen Märchenstunden für Erwachsene um 20 Uhr auf allen Kanälen…

Hänsel und Gretel
Märchen in drei Bildern von Engelbert Humperdinck aus dem Jahr 1893

Dirigent: Marko Letonja
Regie: Pierre-Emmanuel Rousseau

Straßburg Opéra
DO 17. Dezember, 19 Uhr
FR 18. Dezember, 19 Uhr
SO 20. Dezember, 15 Uhr
DI 22. Dezember, 19 Uhr

Mülhausen – La Filature
FR 8. Januar, 19 Uhr
SO 10. Januar 15 Uhr

Infos und Tickets unter: www.operanationaldurhin.eu

Konzert zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethoven
Kammerorchester der Straßburger Philharmonie
DI 15. Dezember, 12.30 Uhr
Salle Ponnelle – direkt gegenüber der Oper.

Ticket und Infos zu weiteren Konzerte des OPS: orchestrephilharmonique@strasbourg.eu
Nationaltheater TNS: https://www.tns.fr/
Theater Maillon: https://www.maillon.eu/fr

Zu Fragen zur Stornierung und Ersatzkarten wenden Sie sich bitte direkt an die Kartenverkaufsstellen der jeweiligen Veranstalter, die über die aufgeführten Webseiten zu erreichen sind.

Und dann natürlich einmal mehr dieser Hinweis:
Sollte nun doch noch was dazwischen kommen und sich der Neustart ins Kulturleben erneut verschieben, versuchen wir Sie in der Kommentarzeile zu diesem Artikel so gut es geht auf dem Laufenden zu halten – möge es dazu gar nicht erst kommen…

1 Kommentar zu Werden Märchen doch noch wahr? Auf zum nächsten Versuch…

  1. Michael Magercord // 11. Dezember 2020 um 11:58 // Antworten

    So ist es also doch wahr geworden – allerdings nicht das eine und all die anderen Märchen, sondern im Gegenteil: Die Wiederaufnahme des Kulturbetriebs wird einmal mehr verschoben, womit all die Ankündigungen im obigen Artikel nun selbst zu Märchen geworden sind. Nun wird der 7. Januar als Termin der Öffnung von Veranstaltungssälen, Kinos und auch Sportarenen (SIG Basketball) anvisiert. Die Erfahrung lehrt, dass es sich auch hier nur über eine vage Hypothese handelt. Wir werden Sie jedendfalls versuchen weiter auf dem Laufenden zu halten.
    Nun erst einmal frohe Weihnacht und ein Tipp: Selber singen macht ja auch froh…

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