Wie die Türkei eine immer hilflosere EU ersetzt

Auf dem Parkett der internationalen Politik nimmt kaum noch jemand die EU sonderlich ernst. Dafür manövriert sich die Türkei geschickt in eine zentrale Position.

Putin-Freund Erdogan ersetzt langsam, aber sicher, die EU auf dem internationalen Parkett. Foto: Kremlin.ru / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Beim gestrigen Treffen im westukrainischen Lviv, wo der türkische Präsident Erdogan, der ukrainische Präsident Selenskji und UN-Generalsekretär Guterres erörterten, welche Wege es eventuell aus dem Ukraine-Krieg geben könnte, fehlten alle selbsternannten „Friedensengel“ und „Krisen-Manager“ Westeuropas. Das ist bemerkenswert, denn niemand legt mehr viel Wert auf die Positionen eines Emmanuel Macron, eines Olaf Scholz oder einer Ursula von der Leyen. Und langsam stellt sich die Frage, wohin die EU eigentich steuert.

Dass ausgerechnet die Türkei, seit 2015 eine brutale Präsidial-Diktatur, die EU an den Verhandlungstischen der Welt ersetzt, ist bedenklich, denn die Türkei ist alles andere als ein zuverlässiger Partner. Das NATO-Mitglied beteiligt sich nicht an den Russland-Sanktionen, kauft in Russland Waffensysteme und hat kürzlich ein russisches Zahlungssystem eingeführt, damit russische Touristen weiterhin an der türkischen Riviera urlauben können. Von eventuellen Visums-Beschränkungen für russische Touristen ist man in Ankara Lichtjahre entfernt.

Dass die EU im internationalen Konzert nicht mehr gehört wird, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Nach wie vor sind die 27 nicht in der Lage, gemeinsame Positionen zu entwickeln, gemeinsame Strategien auf den Weg zu bringen und gemeinsam zu handeln. Alle Mitgliedsstaaten versuchen, für sich selbst das vermeintlich Beste herauszuholen und dabei merken sie offenbar nicht, dass sie sich nur selbst schwächen. Es gab Zeiten, da hatte der „europäische Motor“, die Achse Paris-Berlin, ein internationales Gewicht. Man erinnere sich nur an das Normandie-Format. Doch diese Zeiten sind vorbei.

International wird Olaf Scholz als Schnarchnase betrachtet, Emmanuel Maron als Aufschneider, der nicht einmal in seiner Hauptstadt für Ordnung sorgen kann und Ursula von der Leyen ist an der Spitze der EU-Kommission eine einzige Fehlbesetzung. Kein Wunder, dass man international wenig Lust verspürt, diesen Politikern eine Kommunikations-Bühne zu bieten.

Was sich in der Pandemie zeigte (und weiterhin zeigen wird), bestätigt sich nun in der Ukraine-Krise. Die viel beschworene europäische Einheit existiert nicht. Seit 2016 und dem ersten Brexit-Referendum hat die EU sechs Jahre lang Zeit gehabt, das damals angekündigte „neue europäische Projekt“ wenigstens in Angriff zu nehmen, doch das ist nicht passiert. Doch mit „Aussitzen“ der Krisen wird Europa noch weiter in die politische Bedeutungslosigkeit abdriften, die Realitäten überholen gerade den verkrusteten Brüsseler Beamtenapparat.

Genau in diese Bresche springt gerade der türkische Präsident Erdogan und das macht er sehr geschickt. Nachdem er in den letzten Jahren fast überall mit seinen Anbiederungsversuchen gescheitert ist, präsentiert er sich heute als Mittler zwischen den Welten und Kulturen und sichert sich damit bereits heute seine Wiederwahl im nächsten Jahr.

Dass Erdogan dabei ein doppeltes Spiel spielt und der vermutlich unzuverlässigste Gesprächspartner ist, stört dabei niemanden, denn immerhin ist Erdogan der letzte Politiker, der noch mit Putin spricht. Das nutzen beide aus und plötzlich ist die Türkei ein internationaler Mittler, ein geachteter Ansprechpartner für die internationalen Organisationen.

Und die EU? Die EU rutscht immer weiter in die politische Bedeutungslosigkeit ab, wird zum reinen Geldgeber für Länder, die ansonsten mit der „europäischen Einheit“ wenig am Hut haben, wie beispielsweise Ungarn (das auch seine eigenen Deals mit Moskau unterzeichnet).

Der Pathos, mit dem die EU-Oberen leere Slogans verbreiten, nützt auch nicht viel. Doch weder in Berlin, Paris oder Brüssel scheint man zu erkennen, was es bedeutet, wenn man wichtige Themen lieber mit Erdogan, statt mit Macron, Scholz oder von der Leyen bespricht. Doch mit diesem „Führungspersonal“ läuft die EU Gefahr, überhaupt nicht mehr gehört zu werden.

Dass es sich die EU-Instanzen in dieser Situation leisten, auf die dringend benötigten Reformen zu verzichten, mit denen die Vertretungen von rund 500 Millionen Europäern handlungsfähig würden, ist skandalös. Dass die EU immer häufiger die Sinnfrage gestellt bekommt, ist wenig verwunderlich. Doch dass selbst der Umstand, dass Erdogan gerade lächelnd den Platz einnimmt, der eigentlich von der EU ausgefüllt werden sollte, in Brüssel und Strasbourg niemanden nachdenklich macht, das zeigt, dass die EU, ebenso wie der Rest der Welt, gerade ziel- und planlos durch die Welt stolpert. Unter diesen Umständen kündigt sich der Herbst eher heftig an…

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