Wie die V. Republik an sich selber scheitert

Zwei Drittel der Französinnen und Franzosen haben jedwedes Vertrauen in die Politik verloren. Dass es so weit kommen konnte, liegt auch an einem veralteten Wahlsystem.

Präsident Macron ist der grosse Verlierer der Wahlen - seine Kandidat*innen haben den Preis für das allgemeine Versagen der Regierung gezahlt. Foto: DonkeyHotey / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – So, jetzt sind die OB- und Kommunalwahlen in Frankreich vorbei und Sie dürfen es ruhig zugeben, Sie haben nicht verstanden, was dort passierte. Ein paar Leitmedien haben zwar von einer „grünen Welle“ berichtet, die über Frankreich geschwappt ist, allerdings ist es schwer zu verstehen, was da wirklich passiert ist.

Das Wahlsystem für OB- und Kommunalwahlen in Frankreich ist höchst seltsam, mit Elementen des britischen „First past the post“, also einem einfachen Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen und sogar mit ein wenig proportionalem Wahlsystem, allerdings kommt das erst dann zum Tragen, wenn eigentlich schon alles gelaufen ist. Machen wir es wie in der Feuerzangenbowle und stellen wir uns mal ganz dumm.

Zuerst findet ein erster Wahlgang statt, dieses Jahr war das am 15. März, als der Bevölkerung bereits der Lockdown angekündigt war. Um an diesem Wahlgang teilnehmen zu können, mussten die Parteien und Wahlinitiativen bei der Präfektur (in Frankreich geht eben nichts ohne den Zentralstaat…) eine Kandidatenliste einreichen. Wenn im ersten Wahlgang eine Liste mehr als 50 % der Stimmen erreicht, hat sie die Wahl gewonnen und es gibt keinen zweiten Wahlgang. Dies ist sehr oft im ländlichen Bereich der Fall, wo häufig nur eine einzige Liste antritt oder nur zwei. In den Städten, in denen wesentlich mehr Listen antreten, holt nur selten eine Liste mehr als 50 % der Stimmen im ersten Wahlgang und dann kommt es eben zur Stichwahl.

Zur Stichwahl sind diejenigen Listen zugelassen, die mehr als 10 % der Stimmen erhalten haben. Die Stichwahl findet eine Woche nach dem ersten Wahlgang statt und oft schließen sich Listen, die alleine keine Aussicht auf den Wahlsieg haben, zu „fusionierten Listen“ zusammen, wie es in Straßburg mit der der Liste der Macron-Partei LREM und den Konservativen der LR der Fall war. Hierzu muss bei der Präfektur eine neue, gemeinsame Liste eingereicht werden, von der dann viele der ursprünglichen Kandidat*innen gestrichen werden, um Platz für die Kandidat*innen der jeweils anderen Partei zu machen.

Dann kommt die Stichwahl und etwas, was anderswo schwer nachzuvollziehen ist. Denn die Liste, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhält, bekommt im neuen Stadt- oder Gemeinderat 50 % der Sitze, quasi als Bonus. Die andere Hälfte der Sitze wird dann proportional verteilt, was dann zu Verhältnissen wie im neuen Straßburger Stadtrat führt – 47 Sitze für die Grünen (29 und 18 für die rund 42 % der erhaltenen Stimmen), 11 Sitze für die Macron-Partei LREM (für deren rund 34 % der Stimmen) und 7 Sitze für die PS (für deren knapp 24 % der Stimmen). Der Umstand, dass mögliche Koalitionen innerhalb einer Woche zwischen den beiden Wahlgängen ausgehandelt werden müssen, ist für die Bürger*innen sehr intransparent – und wenig demokratisch.

Kein Wunder, dass inzwischen zwei Drittel der Wahlberechtigten keine Lust mehr haben, bei dieser Demokratie-Farce mitzumachen. Es wird allerhöchste Zeit, dieses Wahlsystem zu ändern, zumal es, wie auch in der nationalen Politik, nur darauf abzielt, den Dauerwechsel der V. Republik zwischen Konservativen und Sozialisten fortzuführen. Das ging mehrere Jahrzehnte mehr oder weniger gut, doch dieses System ist im 21. Jahrhundert an seine Grenzen gestoßen.

Heute rätselt das gesamte politische Frankreich, wie es nur zu dieser geringen Wahlbeteiligung kommen kann. Die Antwort ist einfach. In einem nach wie vor komplett auf Paris ausgerichteten System, das seit Jahren von Korruption, Skandalen und massivster Vorteilsnahme geprägt ist, finden sich die Wähler*innen nicht mehr vertreten. Folglich gehen sie nicht mehr wählen, denn „die da oben machen ja ohnehin, was sie wollen“.

Genau in diese Lücke sind bei dieser OB-Wahl die Grünen gerutscht. Sie boten eine echte Alternative zur „alten Welt“, die Präsident Macron entgegen seiner Versprechen nicht abgeschafft, sondern ausgebaut hat und aufgrund der hohen Zahl der Nichtwähler reichte es, dass die Grünen ihr eigenes Wählerpotential mobilisierten, um diesem höchst undemokratischen System ein Ende zu setzen. Viele der französischen Großstädte haben nun grüne Bürgermeister*innen und 6 Jahre Zeit, den Französinnen und Franzosen zu zeigen, dass Politik auch anders geht als im Rahmen dieses veralteten Systems, in dem sich die Gewählten wie kleine Sonnenkönige verhalten haben.

Auch, wenn gerade viele Französinnen und Franzosen vor den Grünen zittern, die von den traditionellen Parteien als der Teufel in Person dargestellt wurden, so ist diese „grüne Welle“ der Moment, in dem Frankreich über die VI. Republik mit deutlich mehr Demokratie und wesentlich weniger Prunk in den Pariser Salons und denen der Provinzhäuptlinge nachdenkt. Politisch wäre es langsam Zeit, dass auch Frankreich im 21. Jahrhundert ankommt. Vielleicht jetzt.

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