Wie einig ist das deutsch-französische Tandem wirklich?

Der französische Finanzminister Michel Sapin traut sich offen, gegen die europäischen Visionen eines Wolfgang Schäuble aufzubegehren. Mit sanften Worten, aber immerhin…

Wie solide sind die deutsch-französischen Beziehungen? Sind sie inzwischen von der Angst geprägt? Foto: Yann Wehrling / Régions Démocrates / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Dass sich in Europe jemand traut, gegen die deutsche Europapolitik die Stimme zu erheben, ist bemerkenswert und kommt nur selten vor. Umso erstaunlicher ist, dass der französische Finanzminister Michel Sapin den Mut aufbrachte, Wolfgang Schäuble und dessen Vorschlag eines „temporären Grexits“ offen als Fehler zu bezeichnen. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ sagte Sapin, zu diesem Thema gäbe es einen eindeutigen „deutsch-französischen Dissens“. Unklar ist nur, ob Wolfgang Schäuble nach dieser „Majestätsbeleidigung” nun auch den „Fraxit“ betreiben wird.

Zwar verpackte Sapin seine Kritik an den wirren europäischen Visionen des greisen deutschen Finanzministers in Wattebäuschchen („Ich glaube, dass sich Wolfgang Schäuble irrt und sogar in Widerspruch zu seinem tiefen europäischen Willen gerät“), aber, gesagt ist gesagt. Zwar beeilte sich Sapin zu unterstreichen, dass das „deutsch-französische Einvernehmen“ dadurch natürlich nicht gebrochen sei, aber genau das ist es. Hier stoßen zwei diametral entgegen gesetzte Konzeptionen Europas aufeinander – die deutsche Vision eines „germanischen Europas“, in dem jeder, der nicht so tickt wie Deutschland, aus dem kontinentalen Verbund gedrängt werden soll und die französische Vision eines solidarischen Europas, in dem es letztlich nicht nur um die Finanzmärkte, sondern auch durchaus mal um die Menschen gehen darf. Diese beiden Positionen sind allerdings nicht unter einen Hut zu bringen.

Wie sehr sich die Europäer inzwischen vor dem Tandem „Merkel / Schäuble“ fürchten, geht aus den weiteren Ausführungen Sapins vor – so schleimte er auf hoher Ebene noch ein wenig weiter, indem er seinen Respekt vor der von ihm kritisierten Haltung Schäubles darlegte, indem er sagte, dass dieser seine Positionen nicht aus taktischen Gründen, sondern aus Überzeugung beziehen würde. Man spürt förmlich, dass Sapin während des Interviews Angst vor der Reaktion Schäubles bekam – sind wir tatsächlich wieder so weit in Europa, dass man sich nicht mehr traut, kontrovers mit Deutschland zu diskutieren? Haben es Merkel und Schäuble tatsächlich geschafft, die alten Dämonen in Europa wieder zu wecken?

Dass Sapin dann wieder darauf einging, dass man die aktuellen Krisen nur durch „Reformen“ überwinden könne, ist allerdings auch kein Hoffnungsschimmer. Denn im offiziellen Sprachgebrauch der EU steht das Wort „Reformen“ inzwischen nicht mehr für eine Bedeutung wie „Innovation“ oder „Verbesserung“, sondern eher für Begriffe wie „Zwangsmaßnahme“ oder „Abschaffung der sozialen Systeme“.

Während man sich also einerseits darüber freuen kann, dass mal wieder ein europäischer Politiker den Mut aufbringt, den europäischen Kahlschlag, den Deutschland gerade durchführt, offen zu kritisieren, muss man sich andererseits fragen, warum wir in Deutschland eigentlich immer noch denken, dass Deutschland die Führungsmacht Europas sei. Die deutsche Politik ist für Europa eine Katastrophe und viele werden das erst dann merken, wenn ihnen im Urlaub von aufgebrachten Menschen die Autos zerkratzt werden und wütende Menschen ihnen in den Hamburger spucken. Bis dahin schweben wir alle weiter auf Wolke 7 und freuen uns, wie toll doch unsere Regierung die europäischen Werte durch turbulente Zeiten rettet. Ganz schön blöd…

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