Wie es ist 50 zu werden

Ich kenne noch Peter Kraus und bin stolz drauf: Boom, Baby, boom!

Fünfzig, und schon einen an der Torte? Foto: Bicker

(Von Arne Bicker) - Mit diesem Artikel möchte ich für alle Betroffenen (und die es werden wollen) ein Bild zeichnen, wenn nicht gar eine Lanze brechen, wie es sich anfühlt, fünfzig Jahre alt zu werden. Warum ausgerechnet ich das ausgerechnet jetzt tue, verrate ich nicht, nicht in diesem Satz. Aber wie es ist fünfzig zu werden – das verrate ich: Irgendwie komisch. Wie das Leben. Ich könnte jetzt noch ein paar weitere solch fluffiger Allgemeinplätzchen in die Röhre schieben, aber als gelernter Journalist starte ich meine Befindlichkeitssafari selbstredend alternativlos mit einer Handvoll zusammengegoogelter Fakten.

Der Jahrgang 1964 ist der geburtenstärkste in der deutschen Geschichte, falls das jemand noch nicht weiß. 1,4 Millionen Kinder kamen in jenem Jahr zur Welt, unter ihnen Jürgen Klinsmann, Jan Josef Liefers, Richard David Precht, Jens Weißflog, Johannes Baptist Kerner, Hans-Peter Wilhelm Kerkeling und Nicole Hohloch, die 1982 mit ihrer Schnulze „Ein bisschen Frieden“ den Grand Prix d’Eurovison de là Schlagmichtot im englischen Horrorgate gewann. Ich distanziere mich in aller Form und beteuere meine Unschuld.

1964 galt, dass meine Mutter und jede andere deutsche Frau im Schnitt 2,5 Kinder in ihrem Leben zur Welt brachte; heute sind es 1,3. Diese Zahlen vom statistischen Bundesamt klingen sehr nach den Angaben irgendwelcher Ministerien zur Literleistung deutscher Milchkühe oder zur Luftverschmutzung in der Nähe von Autobahnen. Von derlei Assoziationen distanziere ich mich ebenso ausdrücklich. Wir 1964er sind sogenannte „Babyboomer“ – weniger individuell konnte ein Jahrgang seither nicht mehr ausfallen, denn die Mütter unserer zum Teil ungeborenen Nachfolger schluckten die Pille und verhüteten so Schlimmeres auf Teufel komm raus.

Soweit die branchenüblichen Zahlen, Fakten und Promiverweise. Wir kommen zum gefühlten Wetter. Wie ist es also, fünfzig zu werden? In einem Wort: blümerant. Und das bringt es ganz gut auf den Punkt, denn wir 64er kennen Begriffe, die es heute gar nicht mehr gibt. Fahrsteiger ist so einer, oder Prilblumen. Textprogramme unterstreichen so etwas in rot: Out! Wann immer ich ein solches Wort ausspreche und in die Gesichter meiner kurioserweise immer jünger werdenden Mitmenschen schaue, sehe ich Fragezeichen aufleuchten, marmoriert mit Mitleid und umweht von einem  Geruch zwischen Gruft und Mumie.

Nur die ganz, ganz Alten in der Runde, also die wenigen, die noch älter sind als ich, nicken: Ach ja, damals… Blümerant meint so etwas wie flau, schwindelig, indisponiert, matt, schlaff, kraftlos. Und das trifft es alles. Ich habe es bis heute nicht geschafft, eine Haltung zu meinen fünfzig Umdrehungen zu entwickeln, aus mangelnder Souveränität und schwärender Ängstlichkeit, den falschen Dampfer zu besteigen. Woher dieser Rückfall in die geistige Haltlosigkeit später Teenie-Jahre?

Ich befinde mich jetzt in einem Alter, in dem jeder Dampfer der falsche ist. Sie fahren alle in den Hades. Und das ist kein schleichender Prozess, sondern diese Ereigniskarte kommt niedergesaust wie mit dem Fallbeil: Zack, du bist jetzt fünfzig, gehe nicht mehr über Los, freue dich nicht mehr des Lebens, ziehe dich endlich selbst aus dem Verkehr.

Auslöser für dieses Befindlichkeitstrauma einer Bakterie im soziokulturellen Kleister unserer Gesellschaft sind – natürlich und zum Glück – die anderen. „Was ist das für ein Gefühl, fünfzig zu werden“, fragen mich jüngere Freunde und schielen sich dabei irgendwie vorsichtig-fluchtbereit von schräg unten in mein Blickfeld. Was nur, kruzifix, soll man darauf antworten? Wenn man, wie ich, auch nur zwei Sekunden schweigend über eine mögliche Antwort auf diese Frage nachdenkt, so wird sie einem auch schon vorweggenommen: „Du wirkst ja noch gar nicht so alt“, bekommt man gleich darauf zu hören, oder „Ist sicher auch nicht anders, als vierzig zu werden, gell?“

Zum Geburtstag selbst kommen dann alle, die man eingeladen hat, und noch einige mehr, der reinste Sensationstourismus. Oh, schaut mal, die Haare gehen ihm aus, die grauen, „Und was machen die alten Knochen? Geht’s noch?“ Wenn man, wie ich, auch nur zwei Sekunden schweigend über eine mögliche Antwort auf diese Frage nachdenkt, so wird sie einem auch schon vorweggenommen (Jaja, im Alter neigt man zu Wiederholungen):  „Du machst ja noch Sport, das hält jung, da bist du fit, das hältst du sicher noch lange durch, das machst du noch mit hundert, gell?“ Bei solchen Sprüchen fühle ich mich wie ein röchelndes Haustier, dem noch einmal durchs Fell gestreichelt wird, kurz bevor es zum Einschläfern geht.

„Willkommen an Bord der Alters-Airways, nutzen Sie den zollfreien Einkauf und verschönern sie sich den Flug mit einer Heizdecke, es ist ihr letzter, und lange wird er nicht mehr dauern, die Sicherheitswesten befinden sich unter Ihren Sitzen, aber mal ehrlich, was nützen die schon, und so weit runter können Sie sich ja eh nicht mehr bücken, nippen Sie lieber an der blutigen Marie, viel mehr bleibt ihnen ja nicht, das Abendessen servieren wir um 16.45 Uhr, und stellen sie die Lehnen senkrecht, nicht, dass Sie uns vorzeitig entschlummern, das wollen wir ja nicht, überhaupt, seid Ihr alle da, ja, aber nicht mehr lange…“

Erwachet, stand auf den Zeitschriften dieser Fußgängerzonen-Zombies. Ich dachte nie, dass das mal nötig sein würde. Also, alle überlebenden Gehirnzellen mal herhören: Sollen wir die 50 auf der Einladung zu diesem seltsamen Geburtstag als Zahl oder ausgeschrieben als „fünfzig“ hinschreiben? Was meint ihr, Männer? Wie bitte, Ihr habt grad andere Sorgen? Wisst nicht mehr, ob man fünfzig groß oder klein schreibt? Ja kruzifix, dann macht doch, was ihr wollt, ich leg’ jetzt erst mal die Beine hoch und trinke ‘nen Kaffee; diese Oktobersonne kitzelt in den Nasenlöchern, dass es eine Freude ist.

Hat-Schi. Seht ihr, ich lebe noch! Und hieß so nicht die Geliebte Winnetous, oder wenigstens ihr Pferd? Winnetou? Kennt ihr nicht? Mir doch schnurz, ihr Banausen, damals war eh alles besser, viel besser, zurück in die Zukunft, Mac Fly, und ab dafür die Bananenschalen in den Flux-Kompensator.

Äh, wo war ich? Das Alter. Die Rente. Das Reh. Hurz. So geht es einem mit fünfzig. Ihr könnt mich alle mal kreuzweise, ich gehe jetzt einen Prilblumenstrauß pflücken.

1 Kommentar zu Wie es ist 50 zu werden

  1. Frag mich mal…….ich werd bald 60 !

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