Wie europäisch wird die Europawahl in Deutschland?
Wie in anderen Ländern auch, wird die Europawahl am 9. Juni vor allem von der aktuellen Situation in Deutschland bestimmt und weniger von europäischen Themen.

(KL) – Wenn am 9. Juni das neue europäische Parlament gewählt wird, und damit auch die neue Spitze der mächtigen Europäischen Kommission, geht es für viele Wählerinnen und Wähler in erster Linie um die Situation in Deutschland und weniger um europäische Themen. Denn die Europapolitik ist für viele Menschen sehr weit weg und das Gefühl, dass man keinerlei Einfluss darauf hat, was da in Brüssel hinter verschlossenen Türen beschlossen wird, wird viele davon abhalten, am 9. Juni ins Wahllokal zu gehen.
Ebenfalls nicht sehr günstig sind die zahlreichen Kommunalwahlen, die am gleichen Tag stattfinden und momentan interessiert man sich in Deutschland mehr für die im September stattfindenden drei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern als für eine Europawahl, deren Tragweite sich vielen Menschen nicht erschließt. Das allerdings ist ein Fehler, denn diese Europawahl wird richtungsweisend werden – Europa steht am Scheideweg zwischen Neonationalismus und einer Stärkung des europäischen Zusammenhalts. Beides zusammen kann es nicht geben und die Umfragen in vielen Ländern zeigen, dass eher die Neonationalisten Rückenwind haben.
Nicht so in Deutschland, wo sich die Rechtsextremen gerade selbst ins Abseits schießen. Lag die AfD vor Jahresfrist noch dicht hinter der CDU und erreichte in den Umfragen bis zu 23 %, so ist die Partei angesichts ihrer zahlreichen Skandale, nicht zuletzt um ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah, inzwischen auf 15 % gesunken.
Auch für die Ampelparteien sieht es nicht rosig aus – gemeinsam verlieren SPD, Grüne und FDP im Vergleich zur letzten Europawahl 8,7 % der Stimmen und von den Regierungsparteien in Berlin stehen die Grünen noch an erster Stelle – mit 15 %. Die SPD käme auf 14 % und die FDP hat Glück, dass es bei der Europawahl keine 5 %-Hürde gibt, denn an dieser würde sie mit aktuell 4 % scheitern. Selbst das Bündnis Sahra Wagenknecht liegt noch vor der FDP und hat gute Chancen, mehrere Abgeordnete ins Parlament nach Straßburg zu entsenden.
Europa, das merkt man in diesem „Wahlkampf“, ist sehr weit von den Menschen entfernt. Da nützen auch „Europa-Feste“ und „kulinarische Streifzüge durch Europa“ nicht viel, die momentan an vielen Orten organisiert werden. Auch in der letzten Legislaturperiode haben es die europäischen Institutionen versäumt, Europa transparenter, demokratischer und bürgernäher zu gestalten und diese Versäumnisse lassen sich jetzt auch nicht durch weitgehend inhaltsleere Veranstaltungen in den Fußgängerzonen auffangen.
Angesichts der Tatsache, dass keine Partei mit einem echten Reformprojekt der Institutionen bei dieser Wahl antritt, schwebt über der gesamten Wahl heute der Slogan „Weiter so!“ und damit lockt man angesichts der zahlreichen Weltkrisen heute keine Wähler mehr hinter dem Ofen vor.
Am 9. Juni werden wir in vielen europäischen Ländern nationale Wahlen erleben, bei denen in erster Linie die aktuellen Regierungen „abgestraft“ werden, wie beispielsweise in Frankreich, wo sich die Macron-Partei „Renaissance“ auf eine ganz heftige Ohrfeige einstellen muss – das rechtsextreme „Rassemblement National“ kommt in den Umfragen momentan auf fast doppelt so viele Stimmen wie „Renaissance“ und die Götterdämmerung für den unbeliebten Präsidenten, die längst begonnen hat, wird am 9. Juni ihren Ausdruck in den Wahlergebnissen finden.
Das Rennen am 9. Juni ist völlig offen und diejenigen, die heute noch davon ausgehen, eine „bequeme Mehrheit“ einzufahren, könnten am Abend des 9. Juni aus allen Wolken fallen. Schade nur, dass es bei dieser Europawahl so wenig um Europa geht…
Kommentar hinterlassen