Wie geht es in Europa weiter?

Die für die Rettung der EU notwendigen Änderungen an der Funktionsweise der europäischen Institutionen müssen von der Zivilgesellschaft angestoßen werden!

Emmanuel Macron und der Präsident des Europâischen Parlaments David-Maria Sassoli beim offiziellen Start der Konferenz über die Zukunft Europas. Foto: Marine Dumény / EJ / CC-BY-SA 4.0int

(Von Olivier Cuissard und Olivier Védrine) – Was darf man von der „Konferenz über die Zukunft Europas“ erwarten, von dieser in dieser Form neuen Volksbefragung, deren Dauer aufgrund der Pandemie auf ein Jahr reduziert wurde? Die Autoren des Buchs „Crises et régulations, singularité et insuffisances des institutions“ (Krisen und Regulierungen, Besonderheiten und unzureichende Funktionsweisen der Institutionen), erschienen im Verlag „Editions Universitaires Européennes“) Olivier Cuissard und Olivier Védrine lancieren die Diskussion aus den Blickwinkeln der Wirtschaft und des Sozialen und rufen auf, die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich zu berücksichtigen.

Im März 2019 hatte der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen, bis 2020 eine Konferenz über die Zukunft Europas zu organisieren, „zusammen mit den Vertretern der europäischen Institutionen und der Mitgliedsstaaten, um alle Entwicklungen vorzuschlagen, die unser politisches Projekt braucht, um gemeinsam den Weg der europäischen Erneuerung zu zeichnen“. Nach ihrer Wahl zur Präsidentin der Europäischen Kommission im Juli 2019 durch das Europäische Parlament, hatte auch Ursula Von der Leyen ihre Unterstützung für diese Debatte über die Zukunft Europas zum Ausdruck gebracht. Dabei kündigte sie an, dass diese europaweite Befragung von den europäischen Institutionen organisiert würde und dass die „Bürger das Wort bei dieser Konferenz über die Zukunft Europas haben würden“, die 2020 starten und zwei Jahre lang dauern sollte. Die Konferenz, die eigentlich am 9. Mai 2020 zum Jahrestag der Erklärung von Robert Schuman starten sollte, verzögerte sich allerdings aufgrund der Covid-19-Pandemie.

Eine demokratische Erfahrung, die ein Jahr dauert und die Europäer beteiligen soll – Ungefähr ein Jahr nach dem geplanten Start, haben die führenden Europa-Politiker diese Konferenz über die Zukunft Europas schließlich am 19 April 2021 mit einer mehrsprachigen digitalen Plattform gestartet, eine neue demokratische Erfahrung, die den Europäerinnen und Europäern ermöglichen soll, bei der Definition der künftigen Orientierungen der EU mitzuwirken. Diese Plattform bietet einen digitalen Bereich, in dem die Bürger interagieren und Ideen zur Zukunft Europas austauschen können, und die hierbei erzielten Ergebnisse sollen direkt die Themen der Runden Tische der Konferenz festlegen. Der offizielle Start dieser Plattform erfolgte am Europatag am 9. Mai 2021.

Wenn es eine ebenso durchgängige Eigenschaft in der Vielfalt der Wirtschafts-Forschung gibt, dann ist es sicherlich das Interesse an den Institutionen. In seinem Buch „Institutions, changement institutionnel et performance économique“ (1990, „Institutionen, institutionelle Veränderungen und Wirtschaftsleistung“), definiert D. North die Institutionen als die Gesamtheit der Einschränkungen, die der Mensch den menschlichen Interaktionen in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Soziales auferlegt. Eine Institution ist demnach eine Anzahl von formellen und informellen Regeln, die vom geschriebenen Gesetz bis zu Bräuchen und Konventionen reichen, zu denen die verschiedenen Systeme kommen, mit denen diese Regelwerke durchgesetzt werden. Die wichtigste Bedeutung dieser Arbeiten scheint sich in der Folgerung wiederzufinden, nach der die Wirtschaftsleistung eines Landes eine positive Funktion ihrer institutionellen Leistung ist.

Mehr Europa, aber weniger Brüssel – Gemäß dieser Logik verleihen die Institutionen der Regulierung einen Inhalt, so, wie das Gleichgewicht den Märkten einen Sinn gibt. Schrittweise und unter dem Eindruck der Veränderung institutioneller Formen durch soziale Interaktionen (Sozialkonflikte, politische Konflikte), rutscht die Regulierung in eine strukturelle Krise. Dies führt zu der Suche nach neuen institutionellen Formen, mit der sich die Geschichte in Phasen der Stabilität und der Krise unterteilt. Die stabilen Perioden sind diejenigen, in denen das sozial-wirtschaftliche System in einem System stabiler Institutionen eingebettet ist. Die Krisen sind die Phasen der Instabilität, in denen sich die institutionellen Strukturen verändern. Die neuen institutionellen Formen, mit denen Widersprüche aufgelöst und Ungleichgewichte durch neue Regulierungen ausgeglichen werden können, müssen in solchen Situationen kollektiv beschlossen werden. Und hier erhält die Konferenz über die Zukunft Europas ihren ganzen Sinn! Die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer wünscht sich mehr Europa, aber weniger Brüssel; mehr Europäisches Parlament, aber weniger Europäische Kommission. Alles, was von der Kommission kommt, erscheint heute den europäischen Bürgern als undemokratisch, weit entfernt von den Realitäten, zentralistisch und elitär. Die Bürgerinnen und Bürger sind es, die Veränderungen an der Funktionsweise der Institutionen anstoßen müssen, um die EU zu retten!

Die Wirtschaft ist nicht nur in die sozialen Beziehungen eingebunden, sondern alle Dimensionen der Realitäten vor Ort sind miteinander verzahnt. Die wirtschaftliche und soziale Identifikation, die den Nicht-Händler positiv charakterisiert, kennt das Prinzip der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Community, die gegenseitige Anerkennung im Austausch und die Regulierung erfolgt über institutionelle Mechanismen. Das Fehlen einer Regulierung für den Nicht-Händler –also ohne das Ziel der Produktion einer Handelsware– kann das Funktionieren des Markts belasten. Und somit wird ein politisches und soziales Europa die Garantie für wirtschaftlichen Wohlstand.

Professor Olivier Cuissard ist Direktor des Institut Catholique de Paris – Campus de Reims / Olivier Védrine ist Professo (h.c.) und Chefredakteur des Russian Monitor. Dieser Artikel ist zunächst auf Französisch bei unseren Partnern von EuTalk erschienen. © EuTalk / www.eutalk.eu – ISSN 2116-1917 / Die Aussagen dieser Tribüne sind der Ausdruck einer persönlichen Meinung. Sie verpflichten ausschliesslich ihre Autoren und keinesfalls die Institutionen, für die oder bei denen sie arbeiten.

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