Wie gerechtfertigt kann Gewalt sein?

Ein halbes Jahr haben die „Gelbwesten“ in Frankreich Gewalt als legitimes Mittel des politischen Ausdrucks rechtfertigt. Nun dreht sich der Wind und die Gewalt richtet sich gegen die „Gelbwesten“.

Beim Armdrücken der "Gelbwesten" gegen den Staat steht der Verlierer bereits fest. Es wäre an der Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen. Foto: Bombadil77 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Seit einem halben Jahr ähneln sich die Bilder jedes Wochenende. „Gelbwesten“ und schwarz vermummte Extremisten von Linksaußen bis Rechtsaußen liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, zünden Autos an, plündern Geschäfte und rechtfertigen diese Gewalt damit, dass sie ein Mittel des politischen Ausdrucks sei. Nun brennen plötzlich die Hüttendörfer der „Gelbwesten“ – und die Gewalt richtet sich gegen diejenigen, die sie als gerechtfertigt bezeichnen. Es ist an der Zeit, das Kapitel der „Gelbwesten“ zu beenden und in einem gesellschaftlichen Konsens an der Zukunft Frankreichs und Europas zu arbeiten.

An den Wochenenden gibt es inzwischen nicht nur die berüchtigten „Akte“, sprich, die Demonstrationen der „Gelbwesten“, die trotz einer einbrechenden Beteiligung ihrer Landsleute immer noch behaupten, sie seien „das Volk“, nein, inzwischen fangen an den Wochenenden auch die Hüttendörfer der „Gelbwesten“ an zu brennen. Am Wochenende erwischte es das Hauptquartier der „Gelbwesten“ im Departement Haut-Rhin bei Horbourg-Wihr. Nach einem ersten Ausbruch eines Feuers, das gelöscht werden konnte, brannte das Hüttendorf dann in der Nacht von Samstag auf Sonntag vollständig ab. Ähnliches war bereits zweimal an zwei verschiedenen Stellen an den Wochenenden zuvor an den Verkehrskreiseln in Colmar passiert.

Der Ton in Frankreich wird immer rauer und langsam fragt man sich, was die „Gelbwesten“ eigentlich wollen. In einem halben Jahr der sozialen Unruhen konnte man lediglich herauslesen, dass sie gerne mehr Kaufkraft hätten (wer hätte das nicht auch gerne…) und dass sie, nach dem geforderten Rücktritt von Präsident Macron gerne das Land über permanente Volksabstimmungen übernehmen würden. So ganz klar ist das zwar nicht, da praktisch jeder Verkehrskreisel in Frankreich sehr eigene Vorstellungen von der Zukunft Frankreichs hat, aber eindeutig ist das auch nicht. Denn die „Gelbwesten“ weigern sich auch nach einem halben Jahr, an einem gesellschaftlichen Dialog teilzunehmen, was sie inzwischen als Akteur des sozialen Wandels in Frankreich disqualifiziert hat. Und dort, wo Inhalte fehlen, bleibt irgendwann nur noch die Gewalt und genau die kehrt jetzt zu den „Gelbwesten“ zurück.

Viele Franzosen haben inzwischen die Nase von den gewaltsamen Dauerdemonstrationen und der Verweigerung der „Gelbwesten“ zum Dialog gestrichen voll. Dass es natürlich auch keine Lösung ist, wenn Bürgerwehren nun den „Gelbwesten“ das antun, was diese den Rest des Landes seit einem halben Jahr anbieten, ist klar. Doch gleichzeitig war es nur eine Frage der Zeit, wann den Franzosen der Kragen platzt.

Die „Gelbwesten“, und daran wird man sich erinnern, haben das soziale Thema nach ganz oben auf der französischen Politik-Agenda katapultiert, doch haben sie in dem Moment, in dem sie sich strukturieren und damit zum Akteur des geforderten sozialen Wandels hätten werden können, einfach versagt. Statt sich zu organisieren, haben sie ein halbes Jahr damit kokettiert, dass sie das eben genau nicht wollen und dabei haben sie dem Land gezeigt, dass es hauptsächlich darum geht, am Samstag Freunde zu treffen und mit denen Randale zu machen. Das allerdings reicht nicht aus, um als gesellschaftlicher Akteur wahr- und ernstgenommen zu werden.

Nach einem halben Jahr ist es nun so weit gekommen, dass sich französische Bürgerinnen und Bürger gegenseitig bekämpfen. Denn auch, wenn die „Gelbwesten“ von Wochenende zu Wochenende immer weniger werden und auch keinerlei sinnvoller politischer Diskurs mehr von ihnen zu hören ist, so ist diese Bewegung immer noch existent und so virulent, dass nach wie vor jedes Wochenende Tausende Polizisten mobilisiert werden müssen. Das kostet Geld und Nerven und hat das Wochenende zahlreicher Franzosen seit einem halben Jahr geprägt. Nur – ohne eine Finalität ist diese Bewegung zum Scheitern verurteilt.

Außer ein paar B- und C-Promis unterstützt kaum noch jemand die „Gelbwesten“ und in dem von ihnen selbst geschaffenen Klima der Gewalt fühlen sich nun offenbar auch andere dazu berufen, Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung gegen die „Gelbwesten“ einzusetzen. Noch ist es nicht zu offenen Auseinandersetzungen zwischen „Gelbwesten“ und Gegnern der „Gelbwesten“ gekommen, doch das ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit.

Politisch kann man sich mit den „Gelbwesten“ ohnehin nicht auseinandersetzen, nicht nur, weil sie den Dialog verweigern, sondern vor allem, weil sie es in einem halben Jahr nicht geschafft haben, verhandelbare politische Forderungen zu formulieren. Um Schlimmeres zu vermeiden, wäre es vielleicht an der Zeit, dass die „Gelbwesten“ einfach nach Hause gehen und sich anderweitig engagieren, wo man Willens und in der Lage ist, politische Forderungen auf politischer Ebene darzulegen und zu verhandeln. Alles andere wird zu noch mehr Gewalt führen, was sicherlich den extremistischen Kräften innerhalb der „Gelbwesten“ sehr entgegen käme, aber letztlich außer diesen  Extremisten niemandem nützen würde.

Die „Gelbwesten“ hatten alle Möglichkeiten, selbst zu einem politischen Akteur zu werden. Dem haben sie sich verweigert und deshalb ist diese Bewegung nun am Ende angekommen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Umstand verstanden wird, bevor es an den Verkehrskreiseln zu echten Dramen kommt.

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