Wie Lothar Späth Freiburg zu einer grünen Stadt machte

Wie jedes Jahr erinnert Eurojournalist(e) an diesem 5.3. an einen Jahrestag, der Freiburg nachhaltig verändern sollte - vor genau 34 Jahren wurde der Schwarzwaldhof geräumt.

Mit völlig überzogener Härte reagierte der Staat 1981 auf die Demonstrationen nach der Räumung des Schwarzwaldhofs in Freiburg. Foto: Zeitungsauschnitt

(KL) – Hätte im Jahr 1981 der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs Lothar Späth geahnt, was die Spätfolgen seiner Zero-Tolerance-Politik gegenüber Hausbesetzern sein würden, hätte er sich sicher zweimal überlegt, ob er die ganze Macht und Gewalt des Staats gegen die jugendlichen Hausbesetzer in Freiburg einsetzt. Am 5.3.1981 ließ er mehrere Tausend Elitepolizisten des SEK (Sondereinsatzkommando) nach Freiburg bringen, um im Morgengrauen das alternative Kulturzentrum „Schwarzwaldhof“ räumen zu lassen. Was dann passierte, führte dazu, dass Freiburg die erste deutsche Großstadt mit einem grünen Bürgermeister wurde.

Das Jahr 1981 war das Jahr der Hausbesetzungen. Nicht nur in Freiburg, in ganz Europa ließen sich junge Menschen von einer Bewegung anstecken, die einstmals in Amsterdam mit den „Kraakern“ begann – die Jugend Europas forderte Freiräume, um abseits der muffigen Eltern- und Nachkriegsgeneration ein eigenes Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen. Dabei ging es nicht nur um erschwinglichen Wohnraum, sondern auch um Kultur und neue Werte. Fatalerweise erkannte die Politik diesen Umstand nicht und reagierte mit Druck und Gewalt. Ob in Amsterdam, Zürich, Berlin oder Freiburg – überall sah sich der Staat bedroht und schlug zurück. Etwas anderes war in der damaligen Entscheidergeneration nicht einprogrammiert.

So dekretierte Lothar Späth (mit dem man übrigens Jahre später hervorragend über diese Zeit diskutieren konnte), dass „in Baden-Württemberg keine Hausbesetzung länger als 24 Stunden geduldet würde“. Am 4.3.1981 fand dann in der Freiburger Wilhelmstraße 36 eine erneute Hausbesetzung statt, die allerdings nicht 24 Stunden, sondern fast acht Jahre lang dauern sollte. Und in Göppingen und an anderen Standorten des SEK machten sich die Konvois in Richtung Freiburg auf. Mit Mannschaftstransportern und Wasserwerfern, bereit, die Jugend Baden-Württembergs wieder auf den rechten Pfad zu führen.

Am Abend des 4.3. fand dann im Schwarzwaldhof ein berühmt gewordenes Plenum statt. Zu einer Zeit, als man nicht über Soziale Netzwerke und andere Plattformen kommunizierte, was das eben das Format, in dem man sich austauschen konnte. Zugegebenerweise ein wenig ätzend, wenn 500 alternativ angehauchte junge Leute diskutieren wollen, doch stellte man auf diesem Plenum fest, dass in nur wenigen Stunden 4000 SEK-Polizisten nach Freiburg gebracht worden waren, eine kleine Armee, die für die simple Räumung des besetzten Hauses in der Wilhelmstraße 36 etwas überdimensioniert war. Freiburg glich an diesem Abend einem Pulverfass und als dann eine Gruppe etwas radikalerer Jugendlicher in die Innenstadt zog und dort die „Scherbennacht“ (in weniger als 20 Minuten wurden die Schaufenster der Innenstadt eingeworfen und verwüstet) veranstaltete, hatten die Truppen von Lothar Späth einen Vorwand, zur Tat zu schreiten.

Im Morgengrauen des 5.3.1981 umstellten mehrere Hundertschaften schwer ausgerüsteter Polizisten den Schwarzwaldhof und räumten das Areal. Dabei gingen sie wohl davon aus, dass die Geschichte beendet wäre. Doch sie fing gerade erst an.

Zwei Wochen lang fanden täglich zwei Demonstrationen in Freiburg statt, bei denen gefordert wurde, den Schwarzwaldhof wieder herauszurücken und die Verhafteten freizulassen – vier von ihnen waren inzwischen in den „Terroristentrakt“ des Gefängnisses in Bruchsal verlegt worden, was die Atmosphäre in der Stadt weiter anheizte. Zwei Wochen lang glich die Situation in Freiburg einer Belagerung – die mehr als 4000 Polizisten hatten Kontrollpunkte rund um die Innenstadt eingerichtet und wer sich an einem solchen Kontrollpunkt nicht ausweisen konnte oder wollte, der war schnell verhaftet. „Landfriedensbruch“ lautete dann meistens die Anklage, ein Vergehen, das sehr flexibel zu handhaben ist.

In den zwei Wochen dieser Belagerung bildete sich etwas heraus, was einzigartig sein sollte. Ein kollektives Bewusstsein, dass ein anderes Leben möglich sei und das überraschende Bewusstsein der eigenen Stärke. Wenn in einer Stadt mit 200.000 Einwohnern zwei Wochen lang täglich um die 20.000 Menschen demonstrieren gehen, dann hat das sichtbare Auswirkungen.

In der Folge entwickelte sich Freiburg zu einer Art Hochburg für alternative Lebensformen – und viele der damaligen Aktivisten zählen heute zu den Honoratioren der Stadt. Auch OB Dieter Salomon frequentierte damals den Schwarzwaldhof, ebenso wie aktuelle Stadträte (Atai Keller und andere), ja selbst in den Führungsetagen von Einrichtungen wie dem Sportclub Freiburg traf man später auf Menschen, in deren Sozialisierung der „Schwarzwaldhof“ mit allem, was dazugehörte, eine wichtige Rolle gespielt hatte.

Dass die alternative Hochburg Freiburg dann auch politisch neue Wege ging, ist eine unmittelbare Konsequenz der damaligen Ereignisse. Ebenso wie die Tatsache, dass sich Freiburg als erste deutsche Großstadt einen grünen Bürgermeister wählte, inzwischen zur „Welthauptstadt der Sonnenenergie“ heran wuchs und in vielen Themenbereichen ein innovativer Vorreiter ist. Ohne die von Lothar Späth angeordnete Räumung des Schwarzwaldhofs ist mehr als fraglich, ob eine derartige Entwicklung möglich gewesen wäre.

Ebenso fraglich ist es, ob ohne diese Freiburger Entwicklung der Schwung zu einer grünen Landesregierung unter Winfried Kretschmann möglich gewesen wäre. Insofern ist das Desaster, das die CDU nach 57 Regierungsjahren im Ländle bei den letzten Landtagswahlen erlebte, eine Konsequenz eines grauen Morgens im Frühmärz 1981 – wäre der Schwarzwaldhof nicht geräumt worden, hätten sich die Menschen danach nicht gemeinsam gegen die überzogene Staatsgewalt gewehrt, wäre heute in Baden-Württemberg noch alles beim Alten.

An einem Tag wie heute lohnt es sich, sich zurück zu erinnern, in einer Zeit, in der viele resignieren und sich aus der politischen Debatte mit dem Gefühl verabschieden, dass man ohnehin nichts erreichen kann. Doch, und das lehrt uns der 5.3.1981, kann man sehr viel erreichen, wenn man die Entschlossenheit mitbringt, Missstände nicht länger zu tolerieren. Manchmal reicht es, sich gemeinsam zu empören, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Das ist es auch, was Stéphane Hessel mit seinem Büchlein „Indignez-vous“ meinte – in Freiburg zeigt man seit 34 Jahren, wie so etwas in der Praxis aussehen kann. Und darauf darf man heute ruhig mal ein Gläschen Sekt heben!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste