Wie man den Sinn von Kultur pervertiert

Winnetou, aber auch Old Shatterhand, würden sich im Grab umdrehen, hätte es sie wirklich gegeben. Die höchst seltsame Debatte um „kulturelle Aneignung“ nimmt bizarre Formen an.

Old Shatterhand und Winnetou werden Blutsbrüder. Aber soviel Freundschaft zwischen den Kulturen ist den Woke-Eiferern wohl zuwider... Foto: Hinnerk11 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Erst durften weiße Musiker keine Dreadlocks mehr tragen, nun geht es Winnetou an den Kragen. Im Rahmen der immer abenteuerlichere Züge annehmenden Debatte um „kulturelle Aneignung“ hat nicht nur der Ravensburger Verlag zwei Bücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ vom Markt genommen, dazu will der MDR jetzt die Winnetou-Filme mit Warnhinweisen (!) versehen. Wir bewegen uns in Randbereichen der Zensur. Langsam wird es unerträglich.

Hinter der Debatte um die „kulturelle Aneignung“ steckt ein Denkfehler. Nämlich der, dass Kultur nicht etwa dazu dient, Brücken zwischen Kulturen und Welten und Menschen zu bauen, sondern dass Kultur eine nationalistische, sich selbst genügende Veranstaltung sei, die einzig nach den Codes der eigenen Kultur und Lebensumstände funktionieren darf. Doch das ist genau das Gegenteil dessen, was Kultur tatsächlich ist.

Kultur bringt Menschen unterschiedlicher Herkunft, Zivilisationen und Kulturen zusammen. Der kulturelle Austausch ist nicht etwa eine unzulässige „Aneignung“, sondern im Gegenteil, das Öffnen des Wegs zum gegenseitigen Kennenlernen und Verständnis.

Nach dem Postulat der Woke-Eiferer hätte Goethe wohl nicht nach Italien reisen und sich dort inspirieren lassen dürfen. Muss jetzt auch Goethe als „kultureller Aneigner“ aus den Büchereien und Schulen verbannt werden? Darf der begnadete chinesische Pianist Lang Lang jetzt nicht mehr Beethoven spielen? Müssen deutsche Reggae-Musiker künftig mit scharf gezogenem Pimpf-Scheitel auftreten, damit sich kein Durchgeknallter im Publikum mehr „unwohl“ fühlt?

Der Autor dieser Zeilen entstammt einer Generation, die mit den Werken Karl Mays aufgewachsen ist. In dieser Generation wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, aufgrund der Lektüre (oder der dazugehörigen Filme) amerikanische Ureinwohner rassistisch zu verunglimpfen. Im Gegenteil, wer die Bücher und Filme kennt, der weiß, dass in den Geschichten in der Regel die weißen Kolonialisten die Unanständigen sind, die Landräuber, die Mörder, die Manipulierer, die den amerikanischen Ureinwohnern ungerechtfertigterweise das Leben schwer machen. Die Figur des (weißen) Trappers Old Shatterhand bemüht sich in diesen Geschichten, den Wertekodex der amerikanischen Ureinwohner (an dieser Stelle sei das Wort „Indianer“ vermieden…) zu übernehmen, er wird zum Blutsbruder von Winnetou und legt den verbrecherischen Weißen das Handwerk. Haben diese Woke-Eiferer eigentlich die Werke gelesen, die sie nun zensiert sehen wollen?

Es wird langsam unerträglich. Vor lauter „alles-richtig-machen-wollen“ machen die Woke-Eiferer leider alles falsch. Sie propagieren Zensur, sie pervertieren den Begriff „Kultur“ und schaffen die Grundlage für eine dumpfe, heimatfixierte Blut-und-Boden-Kultur, die wir schon mal hatten und in der alles, was nicht aus dem eigenen Dunstkreis stammte, als „entartet“ verbannt und verbrannt wurde. Wenn es „woke“ ist, dieses Gedankengut zu propagieren, dann kann man Akteure des Kulturbetriebs wie den Ravensburger Verlag oder den Mitteldeutschen Rundfunk nur bedauern, dass sie sich dem Diktat dieser Verwirrten zu beugen. Warnhinweise braucht es nicht in Winnetou-Filmen, sondern in den brutalen Killerfilmen aus Hollywood, die seltsamerweise niemand kritisiert. Aber dies ist wohl nur ein weiteres Zeichen, dass die Welt gerade verrückt wird.

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