(Summer special 2022) – Wie schnell man doch abstumpft…

Seit drei Monaten tobt der Ukraine-Krieg und es ist wie mit der Pandemie – viele Menschen schalten bei den Nachrichten einfach ab. Wir stumpfen immer mehr ab.

Krieg, das ist kein Helden-Epos, sondern eine Realitât wie auf diesem Bild. Foto: ALEXANDER ERMOCHENKO / Reuters / Forum / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

Das war im Mai, der Krieg in der Ukraine dauerte “erst” seit drei Monaten. Inzwischen dauert er seit fast einem halben Jahr und es wird immer deutlicher, dass er noch lange dauern wird. Sehr lange. 

(KL) – Liegt es daran, dass seit zweieinhalb Jahren einfach zu viele schlimme Dinge passieren und wir uns unbewusst gegen den Fluss unerträglicher Nachrichten schützen? Es ist mit dem Ukraine-Krieg wie mit der Pandemie – irgendwann ist der Punkt erreicht, wo wir nicht mehr hinhören und nicht mehr hinschauen.

Die täglichen Nachrichten aus der Ukraine ähneln sich immer mehr. Weite Teile des Landes sind zerbombt und auf Jahre und Jahrzehnte zerstört, inzwischen ist das Stahlwerk in Mariupol verloren, das zum Symbol des Untergangs eines ganzen Landes geworden ist, täglich posaunen beide Seiten Siegesparolen in die Welt, und die offiziellen Kommunikationen sind so glaubwürdig wie Berichte der amerikanischen Tabakindustrie, die behaupten, Rauchen sei nicht schädlich. Das Ergebnis dieser Flut von „Fake News“ und echten, entsetzlichen News ist, dass viele Menschen mental auf Durchzug stellen.

Wie in der Pandemie hat sich ein Gefühl der Hilflosigkeit eingestellt. Das, was gestern noch zählte, ist heute ungültig. Europa ist im Krieg. Und innerhalb von nur drei Monaten haben wir uns daran gewöhnt. Waffenlieferungen, Fluchtkorridore, strategische Expertenmeinungen, wenig glaubhafte Berichte westlicher Geheimdienste, brutale Kriegsverbrechen (hat es schon mal einen Krieg ohne Kriegsverbrechen gegeben?), dazwischen immer wieder das unerträgliche Gerede des ukrainischen Botschafters, für den die NATO nicht schnell genug in den III. Weltkrieg einsteigen kann, in der nachvollziehbaren Hoffnung, die NATO würde der Ukraine einen militärischen Sieg schenken – man nimmt diese Nachrichten nur noch am Rande auf.

Ob es wohl 1914 und 1939 ähnlich war? Haben sich die Menschen damals auch an das Unsägliche gewöhnt? Stumpft der Mensch nach einer gewissen Zeit aus Gründen des Selbstschutzes ab?

Es sieht so aus, als würden sich viele Menschen in eine Art innere Emigration bewegen. Wir wissen zwar, dass das Undenkbare gerade passiert, nur zwei Flugstunden entfernt, doch da wir als Individuen ohnehin nichts machen können, schaltet man irgendwann ab. Diskussionen finden kaum noch statt, denn inzwischen hat jeder eine Schwarz-Weiß-Meinung, von der man ohnehin nicht mehr abrückt, genau wie in der Pandemie (die, kleiner Hinweis, noch lange nicht vorbei ist, auch, wenn unsere Politiker gerade das Bedürfnis verspüren, sich als „Bezwinger der Pandemie“ feiern zu lassen. Wir leben eben in Zeiten, in denen nichts besser wirkt als Helden-Geschichten.

Und langsam, aber sicher, bereiten uns sowohl die direkten Kriegsparteien, als auch unsere Regierungen darauf vor, dass dieser Krieg lange dauern wird. So lange, wie ein Weltkrieg eben dauert. Nur dass auch dieser III. Weltkrieg in einem mindestens ebenso furchtbaren Blutbad enden wird wie die beiden letzten Weltkriege, das möchte niemand wahrhaben. Da schaut man bei den Nachrichten eben doch lieber weg und überlegt, ob an Christi Himmelfahrt das Wetter gut genug für einen Grillabend ist…

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