Wieder ein Streik zum Ferienbeginn
Zum ersten Ferienwochenende streiken (wieder einmal) die französischen Eisenbahner. Als ob die Nerven der Franzosen nach zwei Jahren der Krisen nicht schon blank lägen.
(KL) – Gewiss, ein Streik muss weh tun, sonst macht er keinen Sinn. Gewiss, das Mittel des Streiks ist das mächtigste Mittel im Arbeitskampf, in dem immer ungleiche Partner am Tisch sitzen – die Vertreter der Arbeitnehmer und diejenigen, die möglichst wenig Geld für ihre Belegschaft ausgeben wollen. Aber auch Gewerkschaften sollten ein wenig Augenmaß an den Tag legen und die allgemeinen Umstände berücksichtigen. Ein Streik der Eisenbahner am ersten Ferienwochenende ist ein Schlag ins Gesicht der ohnehin schon gebeutelten Franzosen, deren Nerven nach zwei Jahren der Krisen blank liegen. Ihnen jetzt auch noch das Weihnachtsfest zu versauen, ist absolut instinktlos und wird wenig Solidarität mit Berufsständen zur Folge haben, die ohnehin zu den sichersten und den meisten Vorteilen behafteten Berufen zählen.
Beide Seiten, Gewerkschaften und die Staatsbahn SNCF, bedauern, dass die Verhandlungen am 15. Dezember für gescheitert erklärt wurden. Doch in diesem Fall handelt es sich weniger um eine Verhandlung, als vielmehr um eine Art Erpressung. „Entweder erfüllt ihr unsere Forderungen, oder wir legen zu den Feiertagen das Land lahm“, so könnte man diese „Verhandlungen“ resümieren.
In Deutschland haben wir mit der GDL auch eine sehr streikfreundliche Gewerkschaft im Schienenverkehr, die auch schon sehr lange und für die Nutzer der Bahn sehr ärgerliche Folgen hatten. Aber dennoch betrachtet sich auch GDL als „Sozialpartner“ und nicht als Gegner der Arbeitgeber und in Deutschland achten die Gewerkschaften durchaus darauf, „Geiselnahmen“ wir jetzt in Frankreich zu vermeiden.
Nach einem weiteren Jahr der Pandemie, mit Lockdowns, Ausgangssperren und anderen Einschränkungen ist es normal, dass Kinder ihre Eltern an den Feiertagen sehen wollen, Familien sich nach einem Jahr der Entbehrungen treffen wollen und die Menschen ein echtes Bedürfnis haben, sich anders zu sehen als über „Zoom“ oder per SMS. Dass die Eisenbahner-Gewerkschaften ihren Landsleuten dies verwehren, weil sie mehr Gehalt und „Covid-Prämien“ kassieren wollen (wofür eigentlich Covid-Prämien? Was war die besondere Belastung der Eisenbahner in dieser Pandemie?), ist unverständlich.
In Frankreich mussten die Eisenbahnen ihr Schienennetz nun auch für ausländische Anbieter öffnen und seit einigen Wochen verkehrt die italienische Staatsbahn auf beliebten Strecken wie Lyon – Paris. Hoffentlich kommt noch deutlich mehr Konkurrenz auf die französische Schiene, die den Verkehr für die Franzosen sicherstellt, während sich die französischen Eisenbahner-Gewerkschaften in der Rolle derjenigen gefallen, die entscheiden, ob die Franzosen Weihnachten feiern können oder nicht.
Wer vorhat, während der Feiertage in Frankreich mit dem Zug zu reisen, sollte sich unbedingt im Vorfeld im Internet erkundigen, welche Züge fahren und welche nicht. So oder so, mit Solidarität sollten die französischen Gewerkschaften für diesen unglaublichen Streik nicht rechnen – denn sie arbeiten nicht für die Franzosen, sondern gegen die Interessen der Bevölkerung. Lange wird das nicht gutgehen.
Aktualisierung: Gestern Abend wurde die Streikankündigung von den Gewerkschaften zurückgenommen, doch der Zugverkehr wird mindestens heute noch stark gestört sein.
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