Wieder eine Sternstunde der Experten

Alles, was man bisher mit Sicherheit sagen kann, ist dass die Embraer EMB-135BJ Legacy 600 mit der Kennung RA-02795 abgestürzt ist. Und dass Evgeni Prigoschin auf der Passagierliste stand.

Alles, was man mit Sicherheit sagen kann, ist dass dieses Flugzeug bei Twer abgestürzt ist.Foto: Anna Zvereva / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Ist Evgeni Prigoschin wirklich tot? War es ein Unfall? War es Putins Rache? Oder befand sich der Wagner-Chef im zweiten Flugzeug, das fast zeitgleich mit dem ersten gestartet war, nach dem Absturz der ersten Maschine erst umkehrte in Richtung Sankt Petersburg, um später in Moskau zu landen. Abgesehen davon, dass vermutlich nur Familienangehörige Prigoschins seinen Tod beweinen, ist es erstaunlich, was für Theorien man seitdem von allen Seiten hört. Doch Gewissheit werden wir wahrscheinlich nie erhalten.

Im Grunde ist es so wie in einem alten James Bond-Film, in dem sich zahlreiche Geheimagenten bei einer Beerdigung versammeln um zu überprüfen, ob ihr Feind auch wirklich tot ist und im Sarg liegt. Bis man echte Beweise hat, sollte man mit Interpretationen der Situation sehr vorsichtig sein, speziell nach dem seltsamen „Marsch nach Moskau“ der Wagner-Söldner, bei dem man auch nicht weiß, ob es nur eine Inszenierung war oder wirklich eine Drohgebärde gegen Putin.

In mehreren westlichen Hauptstädten vermutet man „Putins Rache“, wobei man allerdings zwei Dinge übersieht. Erstens war Prigoschin beim kürzlichen Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg dabei und ließ sich mit afrikanischen Präsidenten fotografieren, zweitens spielte Prigoschin eine für Russland wichtige Rolle in Westafrika. Ob Putin in einer solchen Situation Prigoschin umbringen lassen würde, ist vorstellbar, aber alles andere als sicher.

Dabei ist ebenso möglich, dass es sich um einen Unfall handelt, was momentan auch niemand sagen kann. Natürlich ist ebenso vorstellbar, dass Putin und der FSB hinter diesem Absturz stecken. Doch auch das werden wir wahrscheinlich nie erfahren.

Doch die Interpretationen im Westen, die diesen Absturz bereits als „Schwächung Putins“, als „Vorteil für die Ukraine“, als „Wendepunkt im Ukraine-Krieg“ auslegen, sind vorschnell und zeigen einmal mehr, dass wir es gewohnt sind, uns selbst mit unserer eigenen Propaganda in die Irre zu führen.

Seien wir ehrlich: Momentan weiß niemand, was wirklich passiert ist. Ja, nicht einmal der Tod Evgeni Prigoschins ist eindeutig bewiesen. Unfall, Anschlag, Hinrichtung – im Russland des Jahres 2023 ist absolut alles möglich und denkbar. Allerdings wäre es sinnvoller, nicht die abstrusesten Querdenker-Theorien zu diesem Absturz in die Welt zu setzen. Und wenn man wirklich ehrlich ist, dann muss man einräumen, dass es unmöglich sein wird, echte und belastbare Informationen zu diesem Absturz zu erhalten. Da könnte man sich das Spekulieren eigentlich auch schenken.

1 Kommentar zu Wieder eine Sternstunde der Experten

  1. Zum letzten Satz: Der ist gut. Machen Sie das doch einfach so.

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