Wieder friedliche Demonstrationen

Bereits zum 5. Mal haben Gewerkschaften, Parteien und andere Organisationen gestern zu Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform aufgerufen – und die Mobilisation ist immer noch ungebrochen.

Am 5. Aktionstag gegen die geplante Rentenreform waren viele junge Menschen dabei. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Wie man als Regierung so konsequent ignorieren kann, dass Millionen Landsleute auf die Straße gehen, um ihrem Unmut Luft zu machen, ist schleierhaft. Viel deutlicher kann man seiner Bevölkerung eigentlich nicht mitteilen, dass deren Interessen und Meinungen die Pariser Macht-Kaste nicht interessieren. Doch dass die größte Protestwelle Frankreichs seit 30 Jahren, die seit dem 19. Januar das ganze Land in Aufruhr versetzt, auch genau mit dieser arroganten Haltung zu tun hat, das will man in den samtigen Salons der Macht nicht wahrnehmen. Doch wird man bereits in den nächsten Tagen mit einer Eskalation rechnen müssen, da am heutigen Freitag (vermutlich spät in der Nacht) die Abstimmung zur ersten Lesung des entsprechenden Gesetzes in der Assemblée Nationale stattfinden wird.

Beide Seiten, die macronistischen Verfechter dieser Reform auf der einen Seite und die Gegner dieser Reform auf der anderen Seite, haben inzwischen ihre Fronten derart verhärtet, dass es wohl keinen Weg mehr zu einer Verständigung geben wird. Für die einen ist die Reform „alternativlos“, für die anderen ein höchst undemokratischer Akt, der die Lebensbedingungen der Franzosen verschlechtern wird. So ganz richtig sind diese vereinfachten Formeln auf beiden Seiten allerdings nicht. Doch werden nun die möglichen Szenarien knapp und alle denkbaren Szenarien werden zu großen Unruhen in Frankreich führen.

Heute Abend kann es gut sein, dass Macron eine knappe Mehrheit für seine Reform erhält, da der größte Teil der „Les Républicains“, der Konservativen, wohl Mehrheitsbeschaffer für den Präsidenten spielen wird. Sollte es im Parlament eine Mehrheit für diese Reform gehen, muss diese zwar noch vom Senat abgesegnet werden, doch liegt die letzte Entscheidung dann wieder beim Parlament und sollte dies nicht so abstimmen, wie sich der Präsident das wünscht, wird Regierungschefin Elisabeth Borne in seinem Namen den Paragraphen 49.3 ziehen und das Gesetz dann eben ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft setzen. Die Reaktionen darauf dürften deutlich weniger friedlich ausfallen als die bisherigen Demonstrationen.

Bislang haben die Gewerkschaften eigentlich alles richtig gemacht. Der ausgezeichnete Ordnungsdienst, den die Gewerkschaften organisieren, hat verhindert, dass es zu Zwischenfällen kommt. Ob diese friedlichen Demonstrationen auch nach einer potentiell undemokratischen Entscheidung so friedlich bleiben, wird man sehen.

Speziell gestern nahmen sehr viele Jugendliche an den Demonstrationen im ganzen Land teil, was ausnahmsweise ging, da in Frankreich gerade Schulferien sind. Hier sieht man auch, dass die jungen Generationen sehr stark von dieser Reform betroffen sind – ihr Protest wurde gestern sichtbar, doch ihre Unterstützung dieser Proteste sollte man auch dann einberechnen, wenn sie unter der Woche nicht an den Demonstrationen teilnehmen können, was auch für viele Arbeitnehmer gilt.

Argumente werden praktisch keine mehr ausgetauscht und der permanente Hinweis der Regierung auf das Renteneintrittsalter in den anderen europäischen Ländern ist der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. In allen europäischen Ländern herrschen unterschiedliche Konditionen, wie beispielsweise in Deutschland, wo der demographische Wandel, also die schnelle Alterung der Gesellschaft, schon früh dazu führte, dass das Renteneintrittsalter auf 65 und dann 67 Jahre angehoben wurde. Doch was in Deutschland notwendig war, ist es nicht unbedingt in anderen Ländern, in denen die gesellschaftlichen Entwicklungen anders verlaufen. Insofern ist auch der Vergleich ziemlich nutzlos, denn was für Deutschland oder Spanien oder Italien gut ist, muss es nicht unbedingt auch für Frankreich sein. Und umgekehrt.

Ab jetzt kann die Auseinandersetzung eigentlich nur noch schärfer werden. Die Weigerung der Regierung, Millionen protestierender Landsleute wahr- und ernstzunehmen, ist ein schlimmer politischer Fehler, den diese Regierung mit einer Demonstrationswelle wie diejenige der „Gelbwesten“ bezahlen wird. Man kann eben nicht jeden sozialen Konflikt mit prügelnden, Gummigeschossen verballernden und Tränengas sprühenden Spezial-Einheiten der Polizei lösen. Solch ein Verhalten kennt man eher aus Moskau… Und à propos „Gelbwesten“ – deren nächste Demonstration ist für Samstag in Paris angekündigt und es sieht so als, als sollte Frankreich so schnell nicht zur Ruhe kommen.

Doch was Macron gerade anstrebt, ist ein Phyrrus-Sieg. Denn wenn er sein Armdrücken gegen die Franzosen gewinnen sollte, dürfte er einen sehr schweren Stand für den Rest seines Mandats haben. Schade, dass dieser Präsident nur für Landsleute Sympathien hat, deren Bankkonto siebenstellig im Plus ist – für alle anderen hat der Präsident nur eine tiefe Verachtung übrig, aus der er auch keinen Hehl macht. Wie es nun in Frankreich weitergeht, steht in den Sternen. Aber gut sieht das gerade nicht aus.

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